KULINARISCHES TAGEBUCH : Grauer Sonntag
Sonntagmorgen. Komme mir verfolgt vor. Vom Wetter, von der Atmosphäre, von undurchsichtigen Kurznachrichten. Der Tag ist von einem satten Grau. Durch die Straßen Berlins ziehen keine Gondeln. Ich schlurfe in meiner neuen Jacke und Unterwäsche mit Monogramm (man bewegt sich anders, heißt es) über den Kanal. Im ersten Café gibt es keine Zeitung, ich gehe ins zweite und werde lausig bedient. Italiener am Nebentisch. Aschepartikel im Zucker. Der Zucker sehr grobkörnig. Unter der Bar rollt die U-Bahn. Ein Mann am Nebentisch liest das Konkurrenzblatt leise mit. Unter der Kuckucksuhr in der Ecke sitzen drei rüstige Frauen in Schwarz und blasen farblose Löcher in die Luft. Sie tragen Halbmondbrillen und haben Teller mit Käsekuchen vor sich stehen. Neben den Tellern liegen Mundstücke mit unangezündeten Zigaretten. Außer mir frühstücken alle, es ist früher Nachmittag, ich werde vermutlich so schlecht behandelt, weil ich nur einen Cortado trinke. Der Cortado ist geringfügig heller als mein Hemd, wegen dem ich mich oft komisch fühle. Fehlt nur noch die Hakenkreuzbinde, denke ich selbst manchmal. Ich mag das Hemd trotzdem, braun ist meine Lieblingsbekleidungsfarbe. Neben dem unvermeidlichen Schwarz. Meine neue Jacke ist auch schwarz. Gekauft habe ich sie im schweinchenrosa Einkaufszentrum. Es gab sie nur in Schwarz, Dunkelblau hätte ich auch schön gefunden.
Ansonsten passiert weiter nichts. Ich übertreibe mit dem Trinkgeld und gehe in denselben Klamotten über die Brücke zurück. Zwei Japaner vor mir riechen nach Feuerwehrmarmelade, also nach Mettfleisch. Später esse ich eine Suppe aus einer mintgrünen Schüssel in einem mintgrünen Imbiss. Nicht wirklich gut. Die Garküchen der Hauptstadt sind von miserabler Qualität. Was nicht nur für die Ausstattung gilt.
Am Abend dann auf dem Sofa. Erdnussflips. RENÉ HAMANN