KOSTBARE BRACHEN : Josef auf der Bühne
Könnte man Erinnerungen einrahmen und an die Wand hängen, für diese würde ich einen Platz finden.
Meine Füße hatten im Sand gebadet, und am Ufer saß ein Liebespaar, ganz deutlich flogen die Funken. Schiffe tuckerten vorbei. Ihre Lichter hatten sich im Wasser gespiegelt und die Züge der S- und Bundesbahn waren zügig durch meinen Panoramablick auf Berlin gerollt. Sie sah fabelhaft aus, diese Stadt, in dieser heißen Sommernacht.
Dann erschien Josef. Und eigentlich geht es um Josef. Um seinen glänzenden Auftritt.
Josef betrat die provisorische Bühne als Frau. Im eng anliegenden Kleid mit Schlitz. Dabei zeigte er viel Bein. Ein Diadem hatte im Haar gefunkelt. Ausdrucksstarke Augen hatte er gehabt, die durch künstliche Wimpern noch betont wurden. Den Mund hatte er perfekt geschminkt und den Körper schließlich hatte er in einen Body gehüllt, der mit Federn, Perlen und Strass besetzt war. Und äußerst elegant war er an den Füßen: auf High Heels aus schwarzem Leder stand er da.
Er sang mit rauchiger Stimme. Und er sang von der Macht und von dem Einfluss des Geldes, nicht ohne Ironie geschah das. Er sang von der Liebe und von dem Kummer, von dem Pulsschlag Berlins und von den Erinnerungen der Seligkeit.
Josef spielte mit dem Weiblichen, mit Facetten, mit Typen. Er wirkte verführerisch, keck, mondän, melancholisch, unnahbar und authentisch.
Als sei überhaupt nichts gewesen, so lag der Platz am Ufer vor Kurzem da. Verlassen, in sich gekehrt, als würde er verschmitzt lächeln.
Das Areal hat der Wind ausgefegt und was vom Sand übrig ist, hat er glatt gestrichen. Leichtfüßig und steinreich kam Berlin daher in jener Nacht. Wegen der vielen Talente und der Meister, die hier leben, und durch jenen Ort im Transit. Kostbare Brachen, die langsam verschwinden. GUNDA SCHWANTJE