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KOMMENTAREEin dritter Weg?

■ Die CSFR soll von einer Übergangsregierung aufgelöst werden

Als bei den tschechoslowakischen Parlamentswahlen im tschechischen Landesteil die „Rechte“, im slowakischen aber die „links-nationalistischen“ Kräfte gesiegt hatten, da war mit langen, sehr langen Verhandlungen über die Bildung einer föderalen Koalitionsregierung gerechnet worden. Kaum zwei Wochen und drei Verhandlungsrunden später ist bereits alles vorbei. Vaclav Klaus und Vladimir Meciar einigten sich auf die Bildung einer Übergangsregierung, sie soll in den nächsten Monaten die Tschechoslowakei auflösen. Doch einigten sich die beiden so gegensätzlichen Männer wirklich, oder wurde der ehemalige Amateurboxer Meciar von dem passionierten Tennisspieler Klaus in einem ungleichen Match an die Wand gespielt? Und: verdienen die Gespräche überhaupt die Bezeichnung „Verhandlung“?

Denn: verhandelt wurde in Wirklichkeit gar nicht. Während noch im Wahlkampf die unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Vorstellungen der beiden Kontrahenten die Hauptthemen gewesen waren, wurden diese nun nicht einmal zu einem Punkt der Tagesordnung. Während die tschechische Seite stets das Demokratieverständnis des ehemaligen Kommunisten Meciar angeprangert hatte, schien dieses nun kein Thema mehr zu sein. Entscheidend jedoch war: auch bei der Diskussion über die Zukunft der CSFR wurde nicht verhandelt, wurde nicht eigentlich nach Kompromissen gesucht.

Die Verantwortung hierfür liegt jedoch weniger bei Vladimir Meciar als bei Vaclav Klaus. Zum einen gab der als Separatist verschrieene Slowake seine ursprüngliche Forderung nach einer „lockeren Konföderation“ mit der Tschechischen Republik zugunsten eines zwischen Föderation und Konföderation anzusiedelnden „gemeinsamen Bündnisses“ auf. Zum anderen war Meciar bereit, die letztendliche Entscheidung über die Zukunft der Slowakei von einem Votum der Bevölkerung abhängig zu machen. Klaus hingegen wollte erst gar nicht nach dem Willen der TschechInnen fragen, schließlich hätten sie seiner Partei bei den Parlamentswahlen ein klares Votum für den Erhalt einer starken Föderation gegeben. Auf dieser Form des Bundesstaates beharrte er dann auch.

Doch der pragmatische Finanzminister wußte, was er tat: Da die Slowakei ohne die Tschechische Republik bald — so die einhellige tschechische Überzeugung — „zum Balkan gezählt werden würde“, Böhmen und Mähren als ehemaliges industrielles Zentrum der Habsburgermonarchie jedoch auch allein ihren „Weg nach Europa“ finden können, hatte er in diesem ungleichen Spiel die besseren Karten. Vorstellungen von einem tschecho-slowakischen Doppelhaus waren dem „überzeugten Konservativen“, der alle dritten Wege entschieden ablehnt, fremd. Da jedes Experiment zu „Chaos“ führen würde und seine Wirtschaftsreformen bedrohen könnte, wurde der Föderalist Klaus das, was er Meciar vorwarf: ein Separatist.

Noch jedoch kann Klaus nicht sicher sein, daß sich nicht doch ein neues Modell des Zusammenlebens zwischen Tschechen und Slowaken entwickelt. Den Weg des Aufbaus einer selbständigen Tschechischen Republik könnte Vaclav Havel verhindern. Als überzeugter „Tschechoslowake“ hat er bereits angekündigt, eine Föderalregierung, die sich selbst und den Staat liquidiert, nicht zu ernennen. Überzeugte Tschechoslowakisten sind jedoch auch weiterhin die Mehrheit der TschechInnen und SlowakInnen. Sollten sich die Spannungen zwischen den Politikern beider Republiken nicht noch weiter verschärfen, dürften sie bei dem für Ende des Jahres geplanten Referendum für einen Erhalt der Tschechoslowakei stimmen.

Sabine Herre

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