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Archiv-Artikel

KOMMENTAR VON BERND PICKERT Auftrieb für die Waffenlobby

Die konservativen Richter verhindern „Change“, die Demokraten ergeben sich

Das Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA zugunsten der Waffenlobby ist ein klarer Rückschritt. Da bemühen sich Städte und Bundesstaaten seit Jahren, die Schusswaffenepidemie durch leidlich sinnvolle Bestimmungen einzudämmen und die Mordraten wenigstens ein bisschen herunterzubekommen – und die konservative Mehrheit des Obersten Gerichtshofs hat nichts Besseres zu tun, als mit einer eigenwilligen Interpretation des Zweiten Verfassungszusatzes den Waffennarren neuen Auftrieb zu verschaffen. Oder, wie es die New York Times formulierte: Die Überlegungen sind rechtstheoretisch, die Auswirkungen werden ganz real sein.

Das Urteil der obersten Richter setzt keine dieser Bestimmungen sofort außer Kraft. Aber es bringt die Befürworter von Kontrollgesetzen auf Jahre in die Defensive. Eine Flut von Gerichtsverfahren, angezettelt von der mächtigen National Rifle Association, und ebenso viele Versuche der Behörden, durch geschickt formulierte Gesetze die völlige Freigabe von Waffen zu vermeiden, werden kommen. Noch während die Prozesse laufen, werden weiter tausende Menschen erschossen werden. Allein rund 10.000 Tote und Verletzte durch Schusswaffen waren in den USA zu beklagen, während die obersten Richter in den letzten vier Monaten über die Klage aus Chicago verhandelten. Alles spricht dafür, dass mehr Waffen in Privathaushalten und auf der Straße zu mehr Toten führen. Die Waffenlobby behauptet das Gegenteil, beharrt darauf, dass allein die individuelle Selbstverteidigung per Schusswaffe Sicherheit garantieren könne. Dafür spricht nichts, und das wissen die bewaffneten Damen und Herren auch.

Mit dem Urteil vom Montag senkt sich der lange Schatten von George W. Bush noch einmal über die USA. Es wird nicht das letzte Mal sein, dass die während seiner Präsidentschaft erreichte konservative 5:4-Mehrheit der Richterstimmen jeden Fortschritt verhindert. Erinnert sich noch jemand, wie die Konservativen gegen „Richter-Aktivismus“ polemisierten, als die Urteile des Gerichts noch liberal ausfielen? Nichts anderes ist das Urteil der Richtermehrheit jetzt. Der Unterschied: Die Demokraten im Kongress haben den Widerstand gegen die Waffenlobby schon aufgegeben – Kontrollgesetze gelten als unpopulär. Das „Change“-Programm von Barack Obama ist an einem weiteren wichtigen Punkt zum leeren Versprechen geworden.