KLAUS-HELGE DONATH ZUM ANSCHLAG AUF DAS PARLAMENT IN TSCHETSCHENIEN : Im Strudel der Gewalt
Die Anschläge der Terroristen gegen das Regime des tschetschenischen Republikfürsten Ramsan Kadyrow werden immer dreister. Bei einem Kamikaze-Unternehmen auf das Parlament im Herzen Grosnys starben am Dienstag vier Menschen. Erst im August hatten mehr als fünfzig Freischärler Tsenturoi, den wie einen Hochsicherheitstrakt abgeschirmten Wohnort Kadyrows, stundenlang unter Beschuss genommen.
Nach russischer Lesart herrscht in Tschetschenien jedoch Frieden. Grosny galt lange als Beweis, dass die Gewaltpolitik Wladimir Putins im Nordkaukasus Früchte trug – besonders, nachdem sich auch in den nordkaukasischen Nachbarrepubliken immer stärkerer Widerstand regte.
Der Terror richtet sich gegen die von Moskau eingesetzten Statthalter, die Macht und Ressourcen unter ihren Klans verteilten. Gesellschaft und politische Führung haben sich voneinander entfremdet. So fällt die verarmte Region in vormoderne Strukturen zurück, radikale Strömungen des Islam haben Auftrieb, die ethnischen Spannungen nehmen zu.
Moskau betrachtet die Region nur als geopolitische Größe. Das rächt sich jetzt. Das brutale russische Vorgehen in Tschetschenien hat eine Gewaltspirale in Gang gesetzt. Die Strategie, dem Statthalter Kadyrow freie Hand zu geben und dadurch den Konflikt zu „tschetschenisieren“, erweist sich als kurzsichtig. Der Widerstand wächst, er speist sich jetzt aus persönlichen Opfern des Kadyrow-Regimes, Islamisten und kriminellen Gangs. Territorial lässt sich der Konflikt nicht mehr eingrenzen.
Der Kreml hat die Brisanz erkannt. Mit einem wirtschaftlichen Aufbauplan versucht Präsident Medwedjew nun, die Region zu befrieden. Doch seine Einsicht kommt wahrscheinlich zu spät. Langfristig ist auch der Kaukasus für Moskau verloren.
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