KLASSENFAHRT (1) : Männertoiletten
Mit seinem Zen-Lächeln thront er in der Empfangshalle und verwaltet gelassen das Chaos. Das Foyer ist vollgelaufen mit 120 Jugendlichen in dem Alter, das ihnen selbst wohl am meisten zu schaffen macht. Die Teenager sind aufgekratzt. Auch das lange Stillsitzenmüssen während der Reise in die Hauptstadt des Nachbarlandes hat ihnen zugesetzt. Als die Zimmer verteilt sind, die Türchips und die Bettwäsche ausgegeben, läuft sein Reich wieder leer. Bis die folgende Welle hereinschwappt. Mit Menschen, die immer das Gleiche fragen.
Wenn er keine Auskünfte erteilt über das Haus und die Regeln, keine Tipps gibt für den Stadtbesuch, verkauft er Bier, mixt er Schorlen und schickt von der Bar aus sein Zen-Lächeln ins Foyer. Ob so ein Job nicht irre mache? „Ach“, antwortet der Mann, „mir setzt eigentlich nur die wahnsinnige Hitze zu, wenn es draußen warm ist. Das Gebäude ist schlecht isoliert.“ Und sonst? „Die Nordlichter saufen“, sagt er. „Alkohol ist in Berlin billig. Deshalb wird es als Luxus erlebt, sich jeden Abend so richtig volllaufen zu lassen während einer Klassenfahrt. Das sorgt nachts für Randale, und die mitreisenden Lehrer haben es aufgegeben, sich zu kümmern.“
Weit nach Mitternacht schwanken desorientiert und vollgetankt zwei gering bekleidete Jungs im labyrinthischen Flur herum. Sie sind laut, und ich bin mir sicher, sie wissen es nicht. Ihn interessiere die Männertoilette, lallt der eine in Englisch. „Im Zimmer liegt ein Klassenkamerad, der auch dringend an der Männertoilette interessiert ist“, werde ich weiter informiert. Was macht eine Wildfremde mit so einer Nachricht? Sich vorstellen, wie gleich jemand ins Bett kotzen oder lospinkeln wird?
„Männertoiletten“, antworte ich, „sind für mich überhaupt nicht interessant.“ Sie sehen mich an, als ob ich Chinesisch spreche. Ratlos schauen wir in die verwinkelten Schächte.
GUNDA SCHWANTJE