KIRCHENTAG UND G-8-PROTESTE ZUR SELBEN ZEIT – MUSSTE DAS SEIN?: Inhalt trifft Wirkungsmacht

Wie doof! Im Vorfeld waren sich Kirchentagsbesucher und Heiligendamm-Demonstranten einig, wie bedauerlich es sei, dass die beiden Großereignisse der Globalisierungskritik in derselben Woche stattfinden. Missgünstig beäugte man sich gegenseitig und versuchte zu prognostizieren, wer wohl größere Aufmerksamkeit genießen würde.

Doch vielleicht war es doch nicht so dumm, dass G-8-Protest und Kirchentag parallel stattfinden. Wie sich nun herausstellt, konkurrieren sie nicht wirklich, sie ergänzen sich. Das hat, so banal es ist, mit der flächendeckenden Medien-Präsenz auf beiden Veranstaltungen zu tun. In Heiligendamm sind über 4.500 Journalisten und Kameraleute akkreditiert – auf dem Kirchentag tummeln sich immerhin rund 1.400. Diese vielen Journalisten müssen etwas zu tun haben – und sie wollen in ihren Medien vorkommen. Die schiere Präsenz von Presse und Fernsehen erzeugt einen unwiderstehlichen Drang, über beide Ereignisse großflächig zu berichten. Hier zeigt sich eine neue Variante des berühmten Satzes von McLuhan „The Medium is the message“.

Zudem funktioniert jede mediale Geschichte am besten durch den Kontrast, und da hat der Vergleich zwischen Kirchentag und G-8-Protest viel zu bieten. Offensichtlich ist die Differenz zwischen Krawall und friedfertigem Dialog, die bereits allseits hervorgehoben wurde. Ebenfalls schnell zu sehen: Auf dem Kirchentag wird sehr viel breiter und kontroverser diskutiert. Hier sitzen Gewerkschafter und Arbeitgeber auf einem Podium – beim G-8-Protest undenkbar. Dafür allerdings kommt der Kirchentag nur selten über recht allgemeine Appelle hinaus, die daher tagesaktuell wenig wirksam sind. Dem G-8-Protest hingegen gelingt es, die Agenda der Mächtigen wenigstens ein bisschen zu prägen.

So unerwartet es also ist: Der Kirchentag versorgt die G-8-Demonstranten mit zusätzlicher inhaltlicher Glaubwürdigkeit, während umgekehrt die Protestaktionen an der Ostsee dem Kirchentag eine politische Aktualität verleihen, die er nicht immer besaß. In perfekter Arbeitsteilung legitimieren sich Kirchentag und G-8-Protest gegenseitig. ULRIKE HERRMANN