„Juden mussten auf gelben Bänken sitzen“

Forscher der Hannoverschen Leibniz-Universität haben den Tagungsband „Gärten und Parks im Leben der jüdischen Bevölkerung nach 1933“ herausgegeben. Ein wenig erforschtes Thema. Mitherausgeber Joachim Wolschke-Bulmahn erklärt warum

taz: Herr Wolschke-Bulmahn, warum erforscht man die Rolle von Parks und Gärten im Dritten Reich erst jetzt?

Joachim Wolschke-Bulmahn: In der Landschaftsarchitektur ist die Aufarbeitung des Nationalsozialismus bis in die 70er Jahre hinein vollkommen unterblieben. Und was Parks und Gärten im Leben der jüdischen Bevölkerung nach 1933 betrifft, so hat man erst vor wenigen Jahren erkannt, dass dies ein wichtiger Aspekt ist – auch deshalb, weil dies kaum dokumentiert ist. Man muss Tagebücher von Victor Klemperer lesen, um herauszufinden, dass die Stadt Dresden 1940 eine Anordnung erließ, der zufolge Juden nicht mehr in den Großen Garten durften. Denn zwar existieren etliche Prachtbände über diverse Parks, in denen darüber geklagt wird, dass sie durch die Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs zerstört wurden. Meines Wissens erwähnt aber keins dieser Bücher, dass Juden manche Parks nicht mehr betreten durften.

Ihr Band definiert Parks und Gärten als Orte von Zuflucht und Diskriminierung. Wie ist das gemeint?

Zu Stätten der Zuflucht wurden während des Dritten Reichs – zumindest vorübergehend – die privaten Gärten. Auch das kann man an den Tagebüchern von Klemperer ablesen: dass in einer immer feindlicheren Umwelt – sobald man das Haus verließ, konnte man angepöbelt werden, wenn man als Jude identifiziert wurde – der Garten wichtiger Rückzugsort wurde. Auch Kleingartenanlagen waren für manchen Verfolgten Orte des Überlebens. Der Showmaster Hans Rosenthal zum Beispiel konnte sich über ein Jahr lang in einer Berliner Kleingartenanlage verstecken, wo ihm eine Frau eine Hütte zur Verfügung stellte. Auf der anderen Seite gab es die öffentlichen Parks, in denen sich auch Juden zu Beginn der Nazi-Herrschaft noch erholten, wo sie flanieren und Natur genießen konnten. Diese öffentlichen Anlagen wurden aber zunehmend zu Orten der Verfolgung und Diskriminierung. Erkennbar war das zum Beispiel an Parkbänke, auf denen stand: „Nur für Arier“ und andererseits gelb gestrichene Parkbänken, auf denen die jüdische Bevölkerung anfangs noch sitzen durfte. Im Leipziger Rosental gab es ein Schild mit der Aufschrift „Juden nicht erwünscht“. So etwas hat es sicher auch in anderen Parks gegeben. Im Detail erforscht ist das aber noch nicht – auch nicht die Genese der Diskriminierung in öffentlichen Freiräumen durch die Nazis. Dass die jüdische Bevölkerung immer aktiver ausgegrenzt wurde, steht allerdings fest. Und dass es nichtjüdische Mitbürger waren, die das oft aus freien Stücken taten, ist ebenso offensichtlich. Aus diesen Gründen halte ich es auch für wichtig, dieses Thema zu erforschen: weil es einmal mehr überdeutlich zeigt, dass die immer wieder vorgetragene Behauptung „Wir haben von all dem nichts gewusst“ nicht stimmt. Sicherlich haben viele von Details in den KZ nichts gewusst. Aber dass Juden diskriminiert wurden, hat man gewusst, und die nichtjüdische Bevölkerung hat aktiv daran teilgenommen. Es sind zum Beispiel Briefe erhalten, in denen Menschen an die Stadtverwaltungen von Hannover und Leipzig schreiben, man solle die Parkanlagen endlich „judenfrei“ machen.

Erbrachten die jüngsten Forschungen auch überraschende Ergebnisse?

Durchaus. Zum Beispiel war wenig bekannt, dass auch die Nazi-Schergen eine „Gartenkultur“ hatten: dass Lagerkommandant Rudolf Höss direkt neben dem KZ Auschwitz seinen Garten genoss, der entsprechend professionell angelegt war und den Häftlinge pflegen mussten. Ein makaberes Beispiel dafür, dass die Täter nach „getaner Arbeit“ ihre Gärten genossen. Andererseits haben auch die Menschen in den Gettos gegärtnert: In Theresienstadt etwa hat es verzweifelte Versuche gegeben, zu gärtnern, um zu überleben. In Gettos hat man in Blumentöpfen auf der Fensterbank oder auf Trümmergrundstücken versucht, etwas anzubauen: Kartoffeln, Gemüse – alles, was wuchs und essbar war. Andererseits ist das Gärtnern dieser geschundenen Menschen so kurz vor dem Tod ein überraschend starkes Hoffnungssymbol.

Welcher Gartenästhetik hingen andererseits die Nazis an?

Bei der Gestaltung von Hausgärten hat es während der Zeit des Nationalsozialismus durchaus ideologische Tendenzen gegeben, auch in meinem Fachbereich. Man wollte zum Beispiel die Verwendung so genannter exotischer Pflanzen minimieren. Der Deutsche brauchte, so sahen es die Blut-und-Boden-Ideologen jedenfalls, die ihm „artgemäße“ Landschaft. Dort hinein gehörten folglich ausschließlich deutsche Bäume. Den so genannten Naturgarten zum Beispiel, der bei uns in den 70ern und 80ern unter ökologischen Vorzeichen eine Blüte erlebte, hatte ursprünglich der Gartenarchitekt Willy Lange entwickelt, der diesbezüglich sehr rassistische Vorstellungen hatte. Diese Ideologie fand auch in Parkanlagen und großen außerstädtischen Projekten der Nationalsozialisten ihren Niederschlag. Alwin Seifert, der Hitlers Reichsautobahn sozusagen landschaftsplanerisch gestaltete, war zum Beispiel ein fanatischer Antisemit und Blut-und-Boden-Anhänger. In den von ihm konzipierten Landschaften finden Sie keine nicht-heimischen Bäume mehr. INTERVIEW: PETRA SCHELLEN

Fotohinweis:JOACHIM WOLSCHKE-BULMAHN, 56, Landschaftsarchitekt, ist Professor für die Geschichte der Freiraumplanung an der Hannoverschen Leibniz-Universität.