■ John Major ist als Tory-Parteichef zurückgetreten: Angst führt
Plötzlich bescheinigen ihm alle Mut und Stärke. Doch es ist Führungsschwäche. John Major hat Angst vor einem starken Gegenkandidaten auf dem Parteitag im Herbst, deshalb ist er als Tory-Parteichef zurückgetreten. Ihm blieb nur noch die Offensiv-Verteidigung, nachdem ihm seine parteiinternen Gegner bei jeder Gelegenheit ein Bein stellten und seine Regierungspolitik zur Farce machten. So hat er zumindest das Element der Überraschung auf seiner Seite.
Freilich birgt die Taktik auch ein Risiko: Im Herbst hätten laut Tory-Satzung 33 Abgeordnete einen Gegenkandidaten aufstellen müssen, nun sind es nur zwei. Doch der rechte Parteiflügel kann höchstens ein politisches Leichtgewicht wie den völlig unbekannten Barry Field ins Rennen schicken oder den geschaßten Schatzkanzler, Norman Lamont, überreden. Der hatte allerdings bei der letzten Europa-Abstimmung mit der Labour Party gestimmt, was selbst bei den messerwetzenden ParteikollegInnen als Verrat gilt.
Michael Portillo, ein ekelhafter Rassist und Favorit der Rechten, wird sich hüten, jetzt schon alles auf eine Karte zu setzen. Er hat die Zeit auf seiner Seite: Früher oder später wird man ihn ohnehin rufen, um das rechte Parteiprofil zu stärken, nachdem Labour-Chef Tony Blair ungeniert in Tory-Gewässern fischt. Beide sind 42 Jahre alt. Blair wird der erste britische Premierminister im dritten Jahrtausend sein, Portillo der zweite.
Bis zu den nächsten Wahlen in zwei Jahren wird Major jedoch weitermachen, davon kann man ausgehen. Er habe das richtige für das Land getan, sagte Major gestern. Das ist blanker Unsinn: Bei dem Sommertheater geht es einzig und allein um die Tories und ihren Parteichef. Majors Taktik, mit der er sein politisches Siechtum um zwei Jahre verlängert, wird deshalb aufgehen, weil kein Kompromißkandidat – wie Major es war – in Sicht ist. Nach Thatchers Sturz glaubte man, daß Major die beiden Parteiflügel zusammenhalten könnte. Das ist ihm gründlich mißlungen, weil er wie ein Rohr im Wind zwischen den Flügeln hin- und herschwankte, so daß schließlich kaum noch jemand seine Worte ernst nahm.
Die Tories wissen, daß sie bei den nächsten Wahlen weg vom Fenster sind – egal mit welchem Parteichef. Für Handelsminister Michael Heseltine mag es die letzte Chance sein, doch für die jüngeren Kandidaten ist es allemal sicherer, jetzt Loyalität zu heucheln und abzuwarten. Hätte Major wirklich Mut bewiesen, dann wäre er nicht nur als Parteichef, sondern auch als Premierminister zurückgetreten. Ralf Sotscheck
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