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Archiv-Artikel

Johannes Rau gestorben NRW ist tot

Vor 38 Jahren traf Johannes Rau auf Rudi Dutschke in der Stadthalle Wattenscheid. Der Studentenführer bekam einen Strampler für Hosea Che, der damalige Bildungsminister Applaus für die Diskussion über Gott und Welt. Längst liegt Dutschke im Familiengrab der Raus – eine Großtante seiner Frau gab dem Revolutionär einen Ruheplatz in Berlin. Ebendort, nicht in Wuppertal, nicht in Nordrhein-Westfalen, starb Johannes Rau gestern Morgen.

KOMMENTAR VON CHRISTOPH SCHURIAN

Raus Abgang von der Landesbühne war zäh. Erst scheiterte er als Kanzlerkandidat, dann brauchte er zwei Anläufe ins Palais Schaumburg. Als Rau 1998 das Bundesland verließ, ging er als Ministerpräsident einer zerstrittenen rot-grünen Koalition, einer bröckelnden SPD-Mehrheit.

Zwanzig Jahre lang hatte der Predigersohn den versöhnlichen Landesvater so selbstverständlich verkörpert, dass NRW als Stammland der SPD missverstanden wurde. Ausgerechnet in Raus letztem Lebensjahr wurde dass auch dem letzten Genossen schmerzhaft bewusst: Im vergangenen Mai trat das Undenkbare ein, der Machtverlust an Rhein und Ruhr.

Dass NRW aber mehr als alles andere das Stammland des Interessenausgleichs und der Sozialpartnerschaft stellte, dass hier der rheinische, ja, christlich abgebremste Kapitalismus entworfen wurde – der begnadete Politikdarsteller Rau hatte das nicht nur begriffen, er wurde zum Inbegriff dieser Tradition, sein gütiges Symbol. Es klingt deshalb nur unfreiwillig drollig, wenn die Fraktionsvorsitzende der SPD im Landtag, Hannelore Kraft, ihre Kondolenzadresse die Überschrift gibt: „Wir verneigen uns vor einem großen Nordrhein-Westfalen“.

In 20 Jahren an der Landesspitze wurde der Mann nicht nur seine Funktion, und umgekehrt. Nein, Rau wurde Nordrhein-Westfalen. Es war der heutige WAZ-Geschäftsführer Bodo Hombach, der ihm dazu den Slogan dichtete: „WIR in NRW“. Gestern morgen ist Nordrhein-Westfalen gestorben.