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Archiv-Artikel

Jenni Zylka über PEST & CHOLERA Was vom Hanuta übrig bleibt

Man kann nicht alle Pläsierchen teilen, aber man wird überall mit ihnen konfrontiert. Nicht nur bei eBay

Ein kundiger Freund wies mich einst darauf hin, dass in der Zwergentanzszene von „The Wizard of Oz“ am Anfang, als Dorothys (also Judy Garlands) Haus aus Versehen auf die „Wicked Witch of the East“ gefallen ist, und ihr die „Good Witch of the North“ daraufhin die Gegebenheiten im Munchkinland erklärt, dass in dieser großen Tanzszene einer der Zwerge vorne am Bildschirmrand ganz verloren herumstolpert, missmutig in die Kamera guckt und die Tanzschritte nur rudimentär mitmacht.

Ich hatte damals gleich nachgeschaut, und es stimmt: Einer aus der Munchkins-Bagage, die ja aus Kleinwüchsigen und Kindern besteht, trottet demotiviert vor und zurück, anstatt mit den anderen „Ding dong! The witch is dead“ zu singen. Sehr niedlich.

Aber eigentlich wollte ich auf die roten Glitzerschuhe hinaus, die in dieser Szene als Hexenrest unter Dorothys Haus hervorlugen – ob man die gut bei eBay versteigern könnte? „Rote Glitzerschuhe, erst durchgehend von alter Hexe, dann von jungem Mädchen getragen, eBay ich, Versand du“? Ich frage das, weil ich neulich das erste Mal ein paar Schuhe, mir zu enge, weil spitze Stiefel, dort eingestellt habe, und mir das sozusagen das Tor zu einer ganz neuen Welt öffnete.

Nach zwei Tagen bekam ich nämlich eine „Frage an den Verkäufer“ gemailt, die ungefähr so ging: „Hallo, zu welchen Gelegenheiten hast du die schönen Stiefel denn getragen? Und kann ich bitte Fotos von den Sohlen haben?“ Ha, hab ich daraufhin aufgeregt gedacht, da ist ja endlich einer dieser mysteriösen Schuhfetischisten! Natürlich war ich aber doch zu feige, einen gewinnbringenden Handel einzugehen, sondern habe zurückgemailt: „Hallo, die Stiefel hab ich fast ausschließlich auf der Bühne bei meiner Nummer als übergewichtiger Gloria-Gaynor-Impersonator getragen, und die Sohlen sind grau. Viele Grüße.“ Klar, dass der Fetischist beleidigt war, so einer will sich schließlich ein Girlie in den Stiefeln vorstellen, nicht einen mopsigen Mann beim „I will survive“-Playback.

Aber man kann ja nicht alle Pläsierchen kennen. Obwohl man überall damit konfrontiert wird. Gestern habe ich zum Beispiel bei mir gegenüber, im vierten Stock des herrschaftlichen Hauses an der Ecke, einen Nacktputzer beobachtet. Ehrlich gesagt habe ich sogar zuerst gedacht, dass der nackte Mann mir auf seltsam leidenschaftslose Art zuwinkt, bis ich gemerkt habe, dass er nur das Fenster wienert. Ich war fast ein wenig enttäuscht. Vielleicht hätte ich mir ja doch ein Herz gefasst und wäre mal rübergegangen, bekleidet nur mit einem Paar Gummihandschuhen.

Was mich wieder auf die Schuhe und eBay bringt. Mein Mitgliedsname dort ist nämlich so peinlich, dass ich jedes Mal einen hochroten Kopf bekomme, wenn ich mich einloggen muss. Bei der Anmeldung damals waren natürlich alle Namen schon weg, so dass mir eBay irgendwann vorschlug, doch eine Kombination aus meinem Lieblingsbuchtitel und meinem Lieblingstier zu nehmen. Und nun heiße ich so ähnlich wie „wickiekuh“ („Wickie und die starken Männer“, Kuh).

Aber auch andere Menschen haben komische Lieblingsbücher. Neulich habe ich gesehen, dass jemand dort „karpfenfinanzamt“ heißt. Aus Neugier habe ich daraufhin in einer Buchhandlung geguckt, wie viele Bücher mit „Finanzamt“ im Titel es gibt. Am besten gefallen haben mir „Schenken und Erben ohne Finanzamt“ und „Streiten mit dem Finanzamt“. Ich habe mir vorgestellt, wie „karpfenfinanzamt“ in seiner einsamen Buchhalterbude sitzt, die er nur mit einem ganz kleinen Zuchtkarpfenaquarium teilt, 1.000 legale Steuertipps auswendig lernt und hin und wieder versucht, bei eBay gebrauchte Stiefel zu ersteigern.

Aber wahrscheinlich habe ich wieder alles falsch verstanden. Vor ein paar Wochen habe ich an dieser Stelle zum Beispiel behauptet, „Ferrero Rocher“ bestünden in Wirklichkeit aus dem, was vom „Hanuta“ übrig bleibt. Eine aufmerksame Leserin hat mir geschrieben und ein für allemal geklärt, dass das definitiv umgekehrt sei: „Hanuta“ seien „Rocher“-Reste. Vielen Dank. Es kommt nicht wieder vor.

Fotohinweis: Jenni Zylka PEST & CHOLERA Fragen zu eBay? kolumne@taz.de Morgen: Bettina Gaus über FERNSEHEN