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Archiv-Artikel

JÜRGEN GOTTSCHLICH ÜBER DIE VERURTEILUNG TÜRKISCHER GENERÄLE Kein sauberes Verfahren

Es ist ein Hammerurteil, mit dem das Istanbuler Gericht Ende vergangener Woche die gesamte Türkei in Aufregung versetzte. Insgesamt 326 Soldaten, darunter höchste Generäle, wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, weil sie einen Putsch gegen die amtierende Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan geplant haben sollen.

Trotz vieler Ungereimtheiten in der Beweislage, trotz massiver Proteste der Verteidiger, die ihre Rechte in dem Massenprozess vielfach verletzt sahen, machte das Gericht keinerlei Zugeständnisse: Von dreimal „lebenslänglich“ für die „Putschführer“, den ehemaligen Chef der Luftwaffe, den Chef der Marine und den Chef der 1. Armee, bis hinunter zu nicht weniger als 13 Jahren Haft, schöpfte es den Strafrahmen voll aus.

Natürlich war der Prozess, nach den angeblichen Putschplänen „Balyoz“ (Vorschlaghammer) genannt, ein politischer Prozess. Er zeigt, dass die jahrzehntelange Vorherrschaft des Militärs in der Türkei endgültig zu Ende ist. Doch während die Hälfte der veröffentlichten Meinung im Lande über den Sieg der Demokratie jubelte, ist die andere Hälfte geschockt. Sie spricht nicht von Demokratie, sondern von Siegerjustiz und Rache, die nun im Namen der Demokratie exekutiert wird.

Der Grund ist, dass der Balyoz-Prozess, wie auch andere Verfahren gegen Militärangehörige, rechtsstaatliche Kriterien nicht erfüllt. Statt in einem sauberen Prozess einem Kreis von Putschisten eine Verschwörung nachzuweisen, werden große Schauprozesse gegen die alte Elite des Landes geführt.

Das nährt die Befürchtung, dass in der Türkei das autoritäre Regime der Generäle nicht durch eine demokratische Befreiung, sondern durch ein anderes autoritäres Regime, eines mit islamischen Vorzeichen, abgelöst wird.

Ausland SEITE 11