JUTTA LIETSCH ÜBER CHINAS ARBEITER : Pekings verlorene Kinder
Eine Serie von Selbstmorden und Streiks hat die Aufmerksamkeit auf die Situation in vielen Fabriken Südchinas gelenkt: Plötzlich schien es, als ob die Arbeiter der Exportnation China aufbegehrten – gegen niedrige Löhne, unmenschliche Lebensbedingungen, robotergleiche Arbeitsabläufe und Einsamkeit. In Chinas Zeitungen, die sonst wenig über Streiks und Unruhen berichten dürfen, erschienen nun mitfühlende Berichte über das Schicksal von jungen Frauen und Männer vom Land, die trotz unermüdlicher Schufterei in Fabriken fern der Heimat wenig Chancen auf ein besseres Leben sehen. Premierminister Wen Jiabao nannte die Wanderarbeiter „unsere Kinder“ und mahnte, sie besser zu schützen.
Aber was soll sich ändern? Streiks gibt es zu tausenden jedes Jahr, nur ist bislang nicht viel darüber bekannt geworden. Nach dem Gesetz müsste es Chinas Arbeitern schon jetzt besser gehen als ihren Kollegen in vielen Teilen der Welt: Das Arbeitsvertragsrecht zum Beispiel beschränkt Überstunden, verbietet willkürliche Kündigungen, fordert Schutz der Gesundheit.
Solche Paragrafen sind aber nur so viel wert wie der Wille, sie durchzusetzen. Als Gewerkschafter in Südchina die Arbeiter einer Fabrik verprügeln wollten, weil sie mehr Lohn forderten, war die Empörung in China groß – gewundert hat es kaum jemand.
Der staatliche „Allchinesische Gewerkschaftsverband“ ist eine riesige Bürokratie, die der KP direkt untersteht. Sie wird von den Unternehmen finanziert. Zweifellos gibt es darin Leute, die sich für die Beschäftigten einsetzen. Doch das sind Ausnahmen.
Solange sich dies nicht ändert, werden sich auch die Arbeitsbedingungen nicht verbessern – und die Zahl der Streiks dürfte weiter zunehmen. Die warmen Worte des Premierministers über die Arbeiter als „unsere Kinder “ wirken da nur zynisch.
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