JÖRG SCHÖNBOHM IST ALS MINISTER UNHALTBAR GEWORDEN : Wer das Volk verachtet, muss gehen
Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm muss zurücktreten. Nicht deshalb, weil er einen entsetzlichen Vorgang missbraucht hat, um für sein Weltbild zu werben. So etwas passiert leider häufiger. Auch nicht deshalb, weil dieses Weltbild erschütternd grobschlächtig ist. Dummheit ist bekanntlich nicht verboten. Schönbohm muss aus einem anderen Grund gehen. Er vertritt – offenbar ernsthaft – die Ansicht, die von ihm regierten Teile der Bevölkerung seien moralisch weniger gefestigt als andere Leute. Das ist ein eklatanter Verstoß gegen einen elementaren Grundsatz der Zivilgesellschaft: das Diskriminierungsverbot.
Es ist notwendig, dass sich eine Gesellschaft mit der Frage auseinander setzt, wie es zu Verbrechen und Verzweiflungstaten kommt, und dass sie den Einfluss von Rahmenbedingungen auf derartige Ereignisse analysiert. Das ist aber nicht gleichbedeutend damit, eine bestimmte Gruppe der Bevölkerung aufgrund ihrer Geschichte, ihrer Religion, ihrer sozialen Stellung oder anderer allgemeiner Kriterien unter Generalverdacht zu stellen.
Was wollte Schönbohm mit seinen Hinweisen auf die DDR-Vergangenheit eigentlich genau sagen? Dass ihn neun tote Babys in Bayern noch mehr überrascht hätten? Absurd. Es gibt menschliche Tragödien, die sich verallgemeinernden Urteilen entziehen. Eine neunfache Kindstötung gehört dazu, auch ein Amoklauf an einer Schule. Sozialismus, Bodenreform und Erich Honecker reichen als Erklärungen dafür nicht hin. Ach, übrigens: die Übel des Kapitalismus ebenfalls nicht.
Ein Politiker kann Demokrat sein, und er kann das Volk verachten. Aber er kann nicht beide Haltungen zugleich einnehmen. In Deutschland sollte ein Minister nicht im Amt bleiben dürfen, der diejenigen verachtet, über deren Lebensbedingungen er mit zu entscheiden hat. Wenn er nicht versteht, warum, dann müssen seine Parteifreunde und seine Koalitionspartner es ihm begreiflich machen. Einfach wird das nicht. Schönbohm scheint noch immer nicht zu wissen, was er tut. Er hat gestern mehrfach versucht, sich zu erklären. Und alles nur noch schlimmer gemacht. BETTINA GAUS