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Archiv-Artikel

JOHN DEMJANJUKS EINWÄNDE GEGEN EINE AUSLIEFERUNG SIND HALTLOS „Juristisches Gezerre“? Gerechtigkeit!

John Demjanjuk wird von der deutschen Justiz angeklagt, Beihilfe zum Massenmord an Juden begangen zu haben. Seit ein USA- Bundesgericht die Auslieferung Demjanjuks nach Deutschland ausgesetzt hat, ist in unserer Öffentlichkeit vom „juristischen Gezerre“ die Rede. Ganz so, als ob hinter dem Hin und Her der Auslieferung nicht das schwerwiegende Problem stünde, wie der Strafanspruch des Staates gegenüber einem 88-jährigen kranken Tatverdächtigen zu beurteilen ist.

Juristisch liegt der Fall bei uns klar. Mord verjährt nicht, ebenso wenig Beihilfe zum Mord. Ist der Angeklagte zu gebrechlich, um der Hauptverhandlung folgen zu können, so kann auf Einstellung des Verfahrens entschieden werden. Gegenüber dieser Rechtslage hat Demjanjuk argumentiert, seine Auslieferung nach Deutschland sei Folter. Ein substanzloser Vorwurf. Wie aber steht es mit der Begründung des US-Bundesgerichts, man müsse im Fall Demjanjuks zwischen „irreparablen Schäden für Demjanjuk, dem Schaden für andere und dem der Öffentlichkeit“ abwägen?

Ein solches Abwägungsmodell stellt die Interessen der Opfer, des mutmaßlichen Täters und das öffentliche Interesse auf eine Stufe. Bei der Abwägung könnte dann argumentiert werden, die Humanität gebiete es, einem 88-Jährigen den Prozess zu ersparen. Schließlich habe er während eines ersten Strafprozesses in Jerusalem jahrelang im Gefängnis gesessen, um dann vom obersten israelischen Gericht freigesprochen zu werden.

Die Anwendung eines solchen Abwägungsmodells verbietet sich aber, weil die Gruppe der Opfer und ihrer Leiden stets bei einer moralischen Beurteilung an erster Stelle stehen muss. Den Opfern des Naziterrors und ihren Nachkommen geht es nicht in erster Linie darum, Demjanjuk bis zum Ende seiner Tage im Gefängnis zu sehen. Sie wollen nicht Rache, sondern Gerechtigkeit. Wie es einer der Überlebenden sagte: „Ich wäre zufrieden, wenn er auch nur einen Tag in eine Zelle gesperrt würde. Für mich hätte dieser Tag, so kurz er auch sein mag, große symbolische Bedeutung.“

CHRISTIAN SEMLER