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Archiv-Artikel

JENNI ZYLKA über PEST & CHOLERA Immer Ärger mit den Jungs

Über das unterschiedliche Verhalten kleiner Mädchen beim Handeln und kleiner Jungs beim Anmachen

Auf dem kopfsteingepflasterten Bürgersteig in einer Nebenstraße sitzen zwei kleine, süße Mädchen, Zöpfe und Locken, auf einem aussortierten Bettbezug und verkaufen ihre alten Spielsachen. Sie haben arg zerschnippelte Barbies neben abgelutschte Stofftiere gelegt, Kinderbücher neben ausgeleierte Plastikperlenketten, zwei Paar schief gelaufene Puschen in Größe 28 säumen das Sortiment an jeder Ecke des Bettbezugs.

Als ich an dem Miniflohmarkt vorbeitrabe, fällt mir ein Quartettspiel mit dem Titel „Beliebte Haustiere“ auf. Da ich schon lange besonders schöne Quartettspiele sammle (ich besitze „Raumfahrt – wozu und wohin?“ aus dem Osten, „Unser Sternenhimmel“, „Raumpatrouille Orion“, „James Bond“ und diverse Staubsauger-Quartette), verhandele ich mit den Verkäuferinnen: Einen Euro will das Zopfmädchen, ich versuche sie auf 50 Cent runterzudrücken und weise auf das Fehlen der Karte D 3 hin. D 1 ist ein Wellensittich, D 2 ein Kanarienvogel, D 4 ein Nymphensittich. Ob sie noch wüsste, welches Vögelchen die Karte D 3 ursprünglich mal vorstellte, frage ich das Zopfkind, dann könnte ich mir eine dementsprechende Vogelarten-Karte nachbasteln. Adler, schlägt es vorsichtig vor. Glaube ich irgendwie nicht, sage ich. Aber ich könnt’s ja trotzdem mit „Adler“ versuchen, sage ich, dann habe ich gute Gewinnchancen mit den Angaben zu Flügellänge und Fluggeschwindigkeit. Die Mädchen verziehen nicht die Miene. Noch zu jung für Ironie, vermutlich. Sind denn die anderen wenigstens komplett, frage ich. Die Zopfbiene nickt mit ausdruckslosem Gesicht, und wir einigen uns auf 70 Cent.

In meinem Portemonnaie klimpern aber nur zwei alte Plus-Pfandmarken, die schon seit einem Jahr nicht mehr gültig sind. Oder kannst du auf einen 100-Euro-Schein rausgeben, frage ich das Zopfkind. Sie guckt mich an, als ob ich spinne. Na ja, dann wird das nichts, sage ich, und versuche, mir die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Du kannst das doch wechseln, schlägt die Kleine vor. Ja, aber gleich fängt Fußball an, sage ich verzweifelt. Sie zuckt mit den Achseln. Na denn nicht.

Hast es wohl nicht nötig, taschengeldverzogene Zicke, denke ich, und will mich gerade wieder zum Gehen wenden. Da spricht mich das Häschen noch mal an. Ob ich ein echtes Buddha-Armband geschenkt haben will. Geschenkt! Das reizende kleine Ding gibt mir genau so ein Armband, wie Madonna es mal getragen hat. Wahrscheinlich ist es sogar dasselbe, und ich kann es bei eBay für eine Menge Kies an irgendwelche Idioten verschachern. Beschämt hauche ich ein Dankeschön und will nach Hause zum Fernseher eilen.

Da werde ich eine Ecke weiter schon wieder von Kindern aufgehalten. Drei dunkelhaarige Jungs zwischen acht und zehn lümmeln auf teuer aussehenden Fahrrädern herum und unterhalten sich in einer Sprache, die nach Türkisch klingt. Entschuldigung, ruft der eine, als ich gerade vorbei bin. Entschlossen, nie wieder etwas Schlechtes von kleinen Kindern zu halten, bleibe ich stehen. Ja, mein Junge, was ist denn?, sage ich tantig lächelnd. Wissen Sie, welche BH-Größe Sie haben, fragt der dickliche Knabe. Ernüchtert gucke ich den Jungen an, der, wenn ich ganz extrem früh angefangen hätte, mein Enkelsohn sein könnte. Die gleiche wie deine Mutter, antworte ich seufzend. Die anderen beiden Jungs grölen, mein dicklicher Aufreißer beginnt, mich in Deutsch und in der fremden Sprache zu beschimpfen.

Aber ich habe schon die Kurve gekratzt. Das klimpernde Madonna-Armband am Arm, renne ich kopfschüttelnd nach Hause, wo ich zusammen mit abertausenden aggressiven Männern zugucken werde, wie ein paar zigtausend aggressive Männer und wenige, liebe, ausgleichende Frauen zugucken, wie sich ein paar weitere Männer auf dem Spielfeld um einen Ball balgen.

Keine Ahnung, wann sich geschlechtsspezifisches Verhalten in den Menschen das erste Mal manifestiert. Es scheint aber schon sehr früh zu sein. Vielleicht sollte man beizeiten mal irgendetwas dagegen erfinden. Auf Dauer hat man doch sonst nur Ärger mit den Jungs.

Fotohinweis: JENNI ZYLKA PEST & CHOLERA Fragen zu Jungs? kolumne@taz.de Morgen: Peter Ahrens über PROVINZ