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Archiv-Artikel

JENNI ZYLKA über PEST & CHOLERA Das perfekte Kummermahl

Hat eigentlich noch irgendwer da draußen so richtig Liebeskummer? Mein Tisch wäre bereits gedeckt

Neulich durfte ich das erste Mal in meinem Leben einen Songtext schreiben, für die Filmmusik eines süßen kleinen Kurzfilms, auf dessen Abspann ein rauchiges, vor Liebeskummer triefendes Bar-Jazz-Lied liegen sollte. Die einzige Vorgabe war: Es muss eine Schafherde drin vorkommen. Eines der letzten Bilder zeigte nämlich eine Schafherde, und der Regisseur wünschte sich ein „korrespondierendes Moment“. Ich fand das gar nicht so einfach. Aber was ein echter Songwriter ist, der wächst ja mit seinen Aufgaben. Ich habe einfach ein Sprichwort erfunden, so in der Art von „Liebe ist wie ein Deichlamm: Oben wollig-weich, und unten starrend vor Scheiß“, es silben- und endungsreimmäßig etwas in Form geschnitzt, und schon war die Sache gegessen. Das ist schließlich bei weitem nicht mein erstes erfundenes Sprichwort. Vor ein paar Jahren habe ich bereits eine eigene Rubrik mit „Sprichwörtern des neuen Jahrtausends“ eröffnet, die seitdem stetig wächst.

Und jetzt, wo beschissene deutsche Texte wieder en vogue sind, kann ich davon bestimmt bald ein paar an den Mann und die Frau bringen. Schließlich braucht es eine Menge Holz, um eine Radioquote zu erfüllen. Doch dieses Thema sei hier nur peripher angepisst. Eigentlich wollte ich den Liebeskummer näher beleuchten. In letzter Zeit, so ist mir aufgefallen, scheint die Dramatik des merkwürdigsten aller Leiden um mich herum merklich abgenommen zu haben. Früher berichtete man mir noch alle Nase lang von Frauen, die aus Liebeskummer dämliche Dinge taten wie Autos zerkratzen, und Männern, die es mit ihrem schweren Herzen nicht einmal schafften, sich anständig anzuziehen. Das Wildeste dagegen, von dem ich in diesem Jahr gehört habe, war das wütende Zerschneiden von Avocados. Es wird sich landauf und landab vernünftig getrennt und man konsultiert sogar „erfahrene PaartherapeutInnen“, die man dann seinen Freunden empfehlen kann. Die Menschen saufen nicht mehr aus Liebeskummer, sondern entweder ohnehin oder aus Langeweile, und alles in sich Hineinfressen ist ebenfalls zu teuer geworden, außerdem verstößt es gegen die strengen Fitnessauflagen der 00er Jahre, und dazu tut es einem noch um das gute Ökoessen leid.

Ich habe neulich darum mal versucht, ein typisches Liebeskummermahl zusammenzustellen, für den Fall der Fälle, ein billiges Menü, das die Nerven beruhigt: Pasta, das ist ja klar, die ist auch mit tränenden Augen zuzubereiten, und so lange man die Nudeln nicht verkochen lässt, bis sie die Form des Topfes angenommen haben (wie es eine alte Freundin mal getan hat), muss man auch nicht so frustrierend viel alleine abspülen. Dazu Wein, denn Liebeskummer muss mit einem Kater am nächsten Morgen enden, weil das den Schmerz quasi verlagert – das ist der „sich genau neben dem Mückenstich kratzen“-Effekt. Und als Nachtisch Schokolade, ich schlage kleine, einzeln eingepackte Stückchen mit Gimmicks vor, die lenken ab und lassen durch das komplizierte Auspacken und das verlorene Mit-Stanniolpapier-Spielen die Zeit vergehen. Am besten Hanuta oder eine Billigvariante davon. Obwohl mir Hanuta eigentlich nicht mehr sympathisch ist, seit ich weiß, dass die auf den Hanutaherstellungsfabrikboden fallenden Schokohaselnussmassenreste nicht, wie es in jeder anständigen Schokofabrik üblich sein sollte, den Schweinen oder dem Biomüll überantwortet werden, sondern zusammengefegt und daraus ganz frech Ferrero Rocher hergestellt und teuer vertickt wird. Soylent Grün ist nämlich nicht nur Menschenfleisch, sondern Rocher ist Hanuta-Abfall!

Falls also doch noch mal einer meiner gut situierten und liierten Freunde einen Rückfall in die Dramatik der 80er und 90er bekommt und schluchzend anruft, um einen Abend meine Schulter nass zu machen, bin ich bestens gerüstet. Zur Not hilft bestimmt immer noch das Stück „Wahnsinn – Warum schickst du mich in die Hölle“ von Wolfgang Petry. So ein Text wäre mir natürlich niemals eingefallen. Und dabei hat dieser furchtbare Mann noch nicht einmal die Deutsch-Quoten-Forderung unterschrieben.

Fragen zu Sprichwörtern? kolumne@taz.de MORGEN: Bettina Gaus über FERNSEHEN