JENNI ZYLKA über PEST & CHOLERA : Aufzeichnungen einer Gastgeberin
Wie ich einmal von einem Fisch besucht wurde, der nicht erst nach drei Tagen zu stinken begann
Wer hat noch mal gesagt, dass nach drei Tagen der Besuch und der Fisch stinken? Mein Besuch roch gut. Wenn man auf Parfümwolken steht. Am ersten Morgen nebelte der Besuch anderthalb Stunden lang das Bad ein. Ich ging derweil bei den Nachbarn aufs Klo, fuhr zu Ikea und schrieb einen Fünfakter.
Wenn der Besuch nicht im Bad herumlungerte, rauchte er. Der Besuch gehört zu der Art Mensch, die morgens noch vor dem Aufwachen ein kleines Löchlein in die Bettdecke reißt und eine Zigarette hindurchsteckt. Nach der Badsession setzte der Besuch sich an den Frühstückstisch, den ich in der Zwischenzeit schon einige Male gedeckt, wieder abgedeckt und in anderem Design re-gedeckt hatte. Natürlich konnte er die ersten zwei Stunden nichts essen, denn das Nikotin hatte ihn satt gemacht. Gegen Nachmittag begann er mit dem Frühstück, pickte mal hier und mal da wie ein überdimensionaler, nach kaltem Rauch duftender Spatz.
Danach wollte der Besuch unterhalten werden. Ich holte drei verschiedene Stadtanzeiger und trug ihm mögliche Ausflugsziele vor. Spazier-Tour. Sport-Tour. Einkaufs-Tour. Kul-Tour. Der Besuch rauchte noch eine und bat sich etwas Bedenkzeit aus. „Mach mal keine Hektik“, sagte er. Um viertel vor acht entschuldigte ich mich, weil ich unbedingt noch einkaufen musste. Der Besuch hatte die Milch draußen stehen lassen, und sie war im Laufe des Tages sauer geworden, er hatte die Sahne, die ich für das Abendessen gekauft hatte, in seinen Kaffee gekippt, er hatte die Möhren weggeknabbert, die in den Auflauf sollten, er hatte das gesamte Toilettenpapier zum Ausstopfen seiner Schuhe gebraucht. Ich hetzte zum Supermarkt, der Besuch blieb im Auto sitzen und rauchte.
Nach dem Abendbrot wollte der Besuch mal kurz in eine Quizshow reingucken, er trank dabei die erste Flasche Wein aus und öffnete, während ich in der Küche den Tisch abräumte, auch noch die teure Flasche „Ribera Del Duero“, die ich bis 2012 aufbewahren wollte.
Nach der zweiten Flasche kam ein Actionfilm mit Bruce Willis, der Besuch guckte sich ein wenig fest. Aber um kurz nach eins war er in Ausgehlaune und rutschte gut gelaunt auf dem Sofa hin und her. „Wo ist denn was los?“, fragte er. „Da gibt’s eine nette Kneipe an der nächsten Ecke“, sagte ich müde. „Nee“, sagte der Besuch, „Kneipen hab ich auch zu Hause! Lass uns tanzen gehen!“ Ich zeigte dem Besuch alle in Frage kommenden Einladungsmails, er konnte sich nicht entscheiden.
Ich warf ihm noch einmal die Stadtmagazine hin. Der Besuch sagte: „Ich brauche noch etwas zu trinken, sonst werde ich mir nicht handelseinig.“ – „Ich habe nichts mehr hier“, murmelte ich. „Aber es gibt doch Nachttanken, oder?“, fragte der Besuch aufmunternd. Ich fuhr mit dem Fahrrad und der Einkaufsliste des Besuchs durch die kalte Nacht zur Tankstelle und kaufte zwei Flaschen schlechten roten Wein, eine Flasche Wodka, eine Packung Choco Crossies und ein Magnum Mandel. „Hmm“, kaute der Besuch genüsslich, „jetzt hab ich richtig Hunger!“ Er mixte uns zwei Wodka-Orange und schaltete mal kurz zur Dauerwerbesendung rüber. „Darüber könnte ich mich immer wieder kaputtlachen“, kicherte der Besuch, „guck doch mal!“
Gegen drei begann die Wiederholung des Bruce-Willis-Films, und der Besuch wollte mir plötzlich zeigen, wie man schon in den ersten zehn Minuten einen Hinweis auf das spätere Attentat entdecken könne. Aber er fand den Hinweis nicht in den ersten zehn Minuten, nicht in den zweiten zehn und auch nicht in den dritten und vierten zehn. Ich ließ den Besuch gegen fünf alleine im Wohnzimmer sitzen, er rauchte eine und blätterte durch die Stadtmagazine, um einen Club zu finden, der seine Musik spielte.
Gegen sieben wurde ich kurz wach, weil eine Flasche umfiel, danach hörte ich, wie der Besuch seine Musik in meiner Plattensammlung ausfindig gemacht hatte. Der Besuch blieb noch zwei Tage. „Ich komme übernächstes Wochenende, da ist hier ’ne Party!“, rief er bei der Abschiedsumarmung. „Ich freue mich schon“, antwortete ich.
Fragen zu Fisch? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN