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Archiv-Artikel

JEAN PETERS POLITIK VON UNTEN Die Terroristinnen sind immer die anderen

Die Bezeichnung Terrorist eignet sich toll dafür, sich gegen eine Gruppe von Menschen abzugrenzen: MuslimInnen, JüdInnen, InnenministerInnen. Ich mach da nicht mehr mit. Eine Entwarnung

Okay, niemand hat Lust, ein Stückchen Leiche durch die Luft fliegen zu sehen. Oder sich den Schleim zermatschter Augäpfel nach dem U-Bahn-Besuch aus den Haaren waschen zu müssen.

Aber Terror nervt. Mich ärgert ohnehin schon genug, dass ich angeblich mal sterben werde, da will ich nicht auch noch ständig erklärt bekommen, das da irgendwer mit komischer Nase und unsicherem Blick dran arbeitet. Ich habe es schon öfters erlebt, wie da Menschengruppen en gros beschuldigt wurden, TerroristInnen zu sein, und irgendwie blieb immer ein schales Gefühl im Magen.

Ein solcher Moment war das auch am Eingang des SamaritanerInnen-Dorfs auf dem Berg Garizim, einem abgeschotteten Plätzchen in den palästinensischen Gebieten, das von der israelischen Armee bewacht wird. Der palästinensische Taxifahrer setzt mich am Soldatenhäuschen ab, dreht um und fährt rasch zurück in die anliegende Stadt Nablus. Mit der Sicherheit meiner Hautfarbe, der englischen Sprache und meines EU-Passes schreite ich auf den 18-Jährigen in Uniform zu und darf passieren.

Auf dem Rückweg in die historische Stadt Nablus fragt mich der Junge mit dem Maschinengewehr skeptisch, was ich dort eigentlich mache. Zirkus, sage ich stolz, um mein Ego vor dem Touristen-Stigma zu schützen, zusammen mit Clowns der Stadt. Aber, sagt er mit einem Funken stolzer Weisheit in den Augen, das sind doch alles Terroristen!

Ich stocke. Zum Glück fällt mir sein Gewehr nicht mehr allzu sehr auf, nur noch eine zu schwere Halskette. Wie reagiert man auf einen bewaffneten 18-Jährigen, der auf einem Hügel steht, zwischen inzestuöser SamaritanerInnen-Sekte, die sich als Ursprung der Menschheit versteht, und einem wilden Pulk von TerroristInnen, die sich gelegentlich als Taxifahrer tarnen und weiße Zirkusmenschen absetzen?

Die Sonne knallt. Nun gut, frage ich (auch zur eigenen Sicherheit), wenn in der Stadt etwa hunderttausend Menschen leben, was schätzt du denn genau, wie viele nun Terroristen sind? Alle?

Zwei Tage später sitze ich in Dschenin auf einer Dachterrasse und muss mir wieder mal von einem lieben Jungen anhören, wie toll Hitler sei, weil er die Juden bekämpfte, ich sei also willkommen. Wegen der Juden habe er als Palästinenser noch nie die Stadt verlassen dürfen, erklärt er. Die seien doch alle Terroristen. Aha. Noch mehr Terroristen. Ich schimpfe also rum, hoffe deutlich zu machen, dass er damit bei mir nicht gelandet ist. Oyvey, oyvey, bitte nicht die Judendiskussion.

Doch wir sind beide bemüht, sehr bemüht. Wir reden über israelische Staatsbürgerschaft, zionistischen Willen und jüdischen Glauben, zwischen Menschen, die prinzipiell bereit sind, andere zu töten, solchen, die da mithelfen, solchen, die wegschauen, und denjenigen, die sich gewaltfrei dagegen organisieren. Und wupps – die Terroristen sind aus unseren Köpfen wegdifferenziert. Vorerst.

Und jetzt obacht, liebe LetzterabsatzmoralistInnen! Alle sterben. Da werde ich früh genug alleine sein. Und tue wohl gut daran, mich nicht schon vorher von anderen zu isolieren.

Der Autor ist Kinderclown und Aktivist Foto: Sylphide Noire