■ Ist ein Bündnis zwischen StudentInnen und Gewerkschaften möglich? Ja, und zwar über Berlin hinaus, meinen die Studentin Alexandra Schmidt, Studienreform-Experte Bernd Fick, Prof. Wolf-Dieter Narr und der Berliner ÖTV-Chef Kurt Lange: "Für
taz: Herr Lange, können Sie sich vorstellen, die Proteste der Studierenden zu unterstützen?
Kurt Lange: Das tun die Betriebsgruppen an der Freien und Technischen Universität bereits. Die Frage ist: Können wir die Proteste der Studierenden verbinden mit der Kampagne gegen Sozialabbau?
Können sich umgekehrt die Studierenden vorstellen, sich mit den kommenden Warnstreiks der ÖTV gegen Nullrunde und Sozialabbau solidarisch zu zeigen?
Alexandra Schmidt: Daß wir für eine Umverteilung von oben nach unten sind, ist ja schon fast eine Kernaussage bei den jetzigen Aktionen an den Berliner Unis.
Haben die Proteste eine Perspektive über die Unis hinaus?
Bernd Fick: Das ist ein bißchen die Frage nach französischen Verhältnissen. Man sollte aber nicht zu viele Erwartungen entwickeln, sonst ist alles ganz schnell wieder vorbei. Aber: Wenn es jetzt keine Bündnisperspektive gibt, wann dann? Hier sind die Gewerkschaften natürliche Bündnispartner. Ich war in den letzten Protestwochen etwas enttäuscht, ich hätte mir spontanere Reaktionen der Gewerkschaften gewünscht.
Kurt Lange: Wir sind beide, Studierende und Gewerkschaften, dann in einer mißlichen Lage, wenn jeweils nur Klientelpolitik gemacht wird. Denn bundesweit geht es darum, den Einstieg in den Ausstieg aus dem Sozialstaat zu verhindern. Wenn es uns nicht gelingt, ein breites Bündnis zu schließen, dann sind am Ende alle die Leidtragenden.
Allerdings möchte ich keine Konflikte überdecken. Der potentielle Interessenkonflikt zwischen den Menschen an den Hochschulen und den Arbeitern und Angestellten existiert durchaus, denn letztere müssen die Unis finanzieren und sehen gleichzeitig: Die haben Semesterferien, Forschungssemester, also viele Privilegien. Diesen Arbeitern und Angestellten muß man deutlich machen, daß es die eigenen Kinder sein können, die dort studieren, daß aber die gegenwärtige Politik mit ihren Kürzungen dafür sorgt, daß das immer weniger der Fall sein wird.
Gibt es einen solchen Interessenkonflikt nicht auch zwischen den von der ÖTV vertretenen Lehrenden und den Lernenden an den Unis? Die Kürzungen werden vor allem an letzteren exekutiert.
Alexandra Schmidt: Das ist doch das Erfreuliche an den Protesten der Studierenden: Sie schauen über den eigenen Tellerrand. Wir wollen nicht einfach mehr Geld, damit die Uni-Bibliotheken wieder geöffnet und die Tutorien besetzt werden können, wir wollen eine gerechte Umverteilung. Wir lassen uns nicht gegen andere soziale Gruppen ausspielen.
Bernd Fick: Außerdem gibt es ja auch Interessengleichheiten: Die ÖTV beklagt zu Recht, daß der größte Teil der Uni-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen befristete Verträge hat. Das führt dazu, daß der Sparhebel immer zuerst an den Unis angesetzt wird.
Warum regen sich die Studierenden über 100 Mark Studiengebühren auf?
Alexandra Schmidt: Es geht doch gar nicht darum, ob 100 Mark Stuidiengebühren verkraftbar sind. Genauso wie das Sparpaket der Bundesregierung der Einstieg in die Abschaffung des sogenannten Sozialstaates ist, genau sind die 100 Mark der Einstieg in eine Universität nur noch für die Reichen. Parallel zur Zurückschraubung des Bafög gibt es heute kaum mehr Arbeiterkinder an den Unis. Zwei von drei Studierende müssen nebenher arbeiten gehen.
Die Berliner Arbeitnehmer haben in den letzten Jahren ein Einkommensverlust von ungefähr zehn Prozent hinnehmen müssen. Warum sollen die Studierenden dann verschont bleiben?
Kurt Lange: Das ist absurd. Ich gebe Alexandra Schmidt recht: 14 Jahre Kohl-Regierung haben das gesamte Denksystem nach rechts verschoben. Wir erleben seit 15 Jahren eine Sparpolitik, und die Arbeitsmarktsituation spitzt sich von Jahr zu Jahr zu. Je mehr wir sparen und soziale Errungenschaften beschneiden, desto schlimmer wird die Lage. Wollen wir hier koreanische Verhältnisse?
Bernd Fick: Jetzt nur auf die Bundesregierung einzuschlagen ist zu einfach. Die aktuellen Kürzungen verantwortet der Senat, Theo Waigels Sparhammer trifft uns nächstes Jahr zusätzlich. In dieser Stadt ist jede Menge Geld an den falschen Stellen ausgegeben worden. Die Olympia-Bewerbung ist gescheitert, die Fusion mit Brandenburg auch. Sieht man vom Regierungsumzug ab, bleibt nur noch ein einziger Standortvorteil: Berlin ist der größte Wissenschaftsstandort Deutschland. Und nun will man den auch noch zerstören, indem man die Unis kaputtspart und die Studienplätze von 115.000 auf 85.000 abbaut. Hier wird technokratisches Verwaltungshandeln mit Politik verwechselt. Das ist konzeptionslos.
Wolf-Dieter Narr: Wenn wir uns auf eine Debatte um die Höhe der Studiengebühren einlassen, dann begeben wir uns auf das Niveau dieser Unpolitik der Landes- und Bundesregierung, auf die angeblichen Sachzwänge. Jetzt schreitet die Amerikanisierung immer schneller voran, die Reichen werden immer reicher und die Armen immer ärmer. Über finanzielle Beschneidungen der Unis kann man ernsthaft erst dann reden, wenn man eine hochschulpolitische Konzeption hat. Bildung ist nach wie vor Bürgerrecht. Aber dieses Recht gerät unter den Rasenmäser, mit dem die Berliner Unis derzeit beschnitten werden, während man gleichzeitig für den Potsdamer Platz oder den Regierungstunnel Geld rausschmeißt. Es ist doch nicht wahr, daß dieses Land kein Geld mehr hat. Trotzdem spart man an den Investitionen, die entscheidend für die Zukunftsfähigkeit sind: Know-how, Forschung, Management. Die 100 Mark Studiengebühren bringen nur symbolische Ersparnisse, sie haben aber ungeheuer demoralisierende Effekte. Die Hochschulen müssen durchaus prinzipiell reformiert werden – aber nicht so.
Kurt Lange: Für mich ist das keine Unpolitik, sondern die Politik einer – wohlbemerkt gewählten – Regierung, die ich für falsch halte. Wer das Renteneintrittsalter erhöht und gleichzeitig die Vermögen- und Erbschaftsteuer sowie Gewerbekapitalsteuer und Gewerbeertragsteuer abschafft, der kann doch niemandem erzählen, es sei kein Geld da in diesem Land. Da walten keine Sachzwänge, sondern Menschen, die ihre Entscheidungen an sozialen Schichten und Klassen ausrichten.
Alexandra Schmidt: In den letzten Jahren ist verlorengegangen, wofür diese Bildungspolitik mal gut sein sollte: Man wollte auch Leute aus bildungsfernen Schichten fördern. Statt dessen wird in Bonn immer heftiger am Bild der Sozialschmarotzer gemalt, die sich in der sozialen Hängematte aalen, ständig blaumachen oder ewig studieren. Dabei bekommen inzwischen weniger als 20 Prozent der Studierenden Bafög und nur noch ganz wenige den Höchstsatz.
Wie politisch denken Studierende, die jetzt auf die Straße gehen?
Bernd Fick: Verkürzt gesagt: Die Stimmung ist gut, aber die Analysen sind noch schwach. Viele, die auf die Straße gehen, kennen biographisch gesehen nichts anderes als die Regierung Kohl. Die fangen jetzt an zu merken, daß man ihnen jahrelang Scheiße erzählt hat, als man ihnen die schönsten Jobs ausmalte, wenn sie nur brav und alleine vor sich hin studieren. Man kann solchen Menschen nicht vorwerfen, daß sie kein Umverteilungskonzept haben, denn sie fangen erst an, in politischen Zusammenhängen zu denken.
Wolf-Dieter Narr: Ich erlebe bei vielen Studierenden die schiere Hilflosigkeit. Der soziale Ort Universität ist ihnen systematisch zerstört worden, weil die Unis zu groß und unübersichtlich gerieten.
Alexandra Schmidt: Wenn die Studierenden mehr als zwölf Stunden pro Woche arbeiten gehen müssen, dann fällt die Uni als sozialer Ort einfach aus.
Wolf-Dieter Narr: Ich finde die jetzigen Aktionen gut, ich habe meine Seminare ja auch öffentlich abgehalten auf dem Potsdamer Platz. Dennoch fehlt die Richtung. Wir Hochschullehrer, die wir sichere und schön bezahlte Arbeitsplätze haben, haben in den letzten zehn Jahren nichts initiiert, was nötig wäre, um die Funktion der Hochschule in einer veränderten Welt neu zu definieren. Die Universität zerfällt gegenwärtig in einzelne, bürokratisch verwaltete Fachbereiche. Sie steht der Politik sprach- und konzeptionslos gegenüber. Es ist völlig falsch, die Zahl der Studienplätze zu verringern, man muß sie langfristig sogar vergrößern. Gleichzeitig muß man die Hochschulen aber verkleinern und entbürokratisieren. Unis wie die FU sind von der Lern- und Forschungseffizienz her gesehen irrationale und ineffektive Gebäude. Die einzelnen Segmente mögen effektiv sein, aber die Gesamtschau der Probleme fehlt.
Die von Studierenden der Humboldt-Universität initiierten Montagsdemos sollen weitergehen. Heute gibt es einen Trauermarsch, Herr Sozialer Friede und Frau Zukunft werden zu Grabe getragen. Beteiligt sich die ÖTV?
Kurt Lange: Warum nicht. Die Frage ist aber nicht, ob wir dazu aufrufen, sondern ob die Menschen, die den Aufruf lesen, sich mobilisieren lassen. Man denkt zu schnell, wenn man im Protest ist. Man sieht nicht, wie viele Leute noch abseits stehen. Dies muß in den Köpfen der Busfahrer, der Müllmänner, der Krankenschwester oder Erzieherin lebendig werden. Die Studierenden dürfen die Sparpolitik nicht darauf reduzieren, ob es für die Universitäten ein Konzept gibt oder nicht. Umgekehrt dürfen die Gewerkschaften nicht nur vom Sparpaket der Bundesregierung reden, sie müssen das runterbrechen auf die konkreten Probleme in den Ländern und Kommunen. Für die alleinerziehende Mutter ist das Kita-Angebot der Gemeinde mindestens so bedeutsam wie die Hochschulpolitik. Wenn wir da kein großes Bündnis hinkriegen, mit einem langen Atem, das diese Politik immer wieder in Frage stellt, dann werden wir eine große Niederlage erleiden.
Wolf-Dieter Narr hat gesagt: Die Uni hat auf die veränderte Welt nicht reagiert. Gilt das nicht auch für die Gewerkschaften?
Kurt Lange: Unser entscheidender Fehler war, daß wir uns nicht abgesichert haben gegen diese Kostendebatte. Wir diskutieren heute nur noch über Lohnkosten, Sozialkosten, Haushaltsetats, Standortlogik. Wir haben die andere Seite dieser Kosten nicht thematisiert. Wir hätten auch das Versagen der bundesdeutschen Führungseliten thematisieren müssen, die nicht begriffen haben, wie man in einer postindustriellen Welt Bildung mit Wirtschaft verbindet.
Daß der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgeht, ist weniger der Regierung Kohl geschuldet als der Globalisierung des Kapitals. Müssen die Gewerkschaften mehr tun, um die verbleibenden Arbeitsplätze gerechter zu verteilen?
Kurt Lange: Seit Mitte der achtziger Jahre werden Lohnerhöhungen nicht mehr direkt ausgezahlt, sondern in Arbeitszeitverkürzungen umgesetzt. Siehe VW Wolfsburg. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber ich würde nie wieder, wie in den 80er Jahren, für einen Tarifvertrag stimmen, der nicht garantiert, daß Arbeitszeitverkürzungen neue Arbeitsplätze schafft.
Wolf-Dieter Narr: Sowohl die Gewerkschaften als auch die Universitäten müssen beginnen, konzeptionell zu arbeiten. Zu lange gingen die Gewerkschaften vom Bild einer expandierenden Ökonomie ohne strukturelle Arbeitslosigkeit aus. Sie kümmerten sich nur um die Facharbeiter und nicht um die Arbeitslosen, sie sind nach innen genauso wie die Unis wenig demokratisch. Auch die Unis gingen zu lange von einer expandierenden Bildungspolitik aus. Der Überzeugung der Sparkommissare, daß heute eine Art Neo-Analalphabetismus nötig sei und eine kleine Bildungselite genüge, stehen sie hilflos gegenüber.
Kurt Lange: Ein bißchen ist es doch so: Jeder macht seins. Die Studierenden erklären, die Unis werden zur Kasse gebeten, die Gewerkschaften erklären, das Ladenschlußgesetz muß bleiben oder der Tarifvertrag. Niemand bringt es fertig, zu sagen: Was die anderen machen, finden wir richtig. Wir müssen gemeinsam lernen. Wir müssen in unseren jeweiligen Veranstaltungen neue Zusammenhänge herstellen. Wir müssen die jeweilige Isolation durchbrechen.
Alexandra Schmidt: Ich habe herausgehört: Solange die Studierenden nicht fordern, das Geld für die Unis aus dem Kindergarten- etat zu nehmen, solange wird die ÖTV sie unterstützen. Umgekehrt möchte ich sagen: Solange die Gewerkschaften eine Umverteilung fordern, solange werden sich die Studierenden dahinterstellen. Bündnis heißt nun mal: Abschied von der Klientelpolitik.
Das Gespräch führten Ute Scheub, Christian Füller und Gerd Nowakowski.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen