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Archiv-Artikel

In die Welt wollen

Brigitte Reimanns nachgelassene Texte „Das Mädchen auf der Lotosblume“

VON SUSANNE MESSMER

Denkt man an Frauenliteratur, fällt einem meist auch gleich die Frauenbewegung ein. Tolle Bücher über die Schwierigkeit, gleichzeitig gefährliche Geliebte, sorgende Mutter und toughe Kollegin zu sein: Die gab es vielleicht in der Weimarer Republik, in Westdeutschland aber frühestens erst wieder in den Siebzigerjahren. So zumindest die allgemeine Auffassung. Dass es in der DDR aber schon zwanzig Jahre zuvor Bücher von Autorinnen wie Christa Wolf, Irmtraud Morgner und anderen gab, die den Wiedereintritt der Frau in die Gesellschaft nach dem Faschismus beschrieben, gerät dabei leicht aus dem Blick. Und dass jetzt auch noch zwei Manuskripte der Autorin Brigitte Reimann aufgetaucht sind, die bereits um 1952 und um 1956 entstanden und erst jetzt gefunden wurden, beweist einmal mehr: Ja, die DDR hatte sich mit ideologischem Ballast herumzuschlagen, ja, es gab lästige Auflagen – trotzdem war etwas an der DDR, das Frauen schneller wieder möglich machte, Teil der literarischen Öffentlichkeit zu werden und über ihre Belange zu schreiben.

Brigitte Reimann, 1933 in Burg bei Magdeburg geboren, arbeitete nach ihrem Abitur 1951 zunächst als Lehrerin und wurde 1961 durch ihren Debütroman „Ankunft im Alltag“ bekannt, der den Begriff „Ankunftsliteratur“ prägte und drei Abiturienten beschrieb, die vor ihrem Studium ein Jahr praktische Arbeit leisten wollen, sich mit den Konflikten im „realen Sozialismus“ konfrontieren – aber schlussendlich nur das Ziel haben, sich einzurichten. Erst nachdem Brigitte Reimann 1973 mit nur 39 Jahren an Krebs gestorben war, konnte ihr viel moderneres, weil subjektiveres Romanfragment „Franziska Linkerhand“ erscheinen, ein Buch, dem man anmerkte, dass sie sich von der DDR distanziert hatte, und das das Interesse an ihr heute noch wachhält. Seither wird Reimann zu den Autoren gerechnet, die sich anfangs mit der DDR identifizierten und erst allmählich kritischer wurden.

Nun sind aber auf dem Dachboden der ehemaligen Wohnung Brigitte Reimanns zwei unvollendete Romane gefunden worden, die sie verfasste, als sie gerade mal zwanzig Jahre alt war. Diese Manuskripte zeigen nicht nur, dass Brigitte Reimann schon früh über die Stellung der Frau in der neuen sozialistischen Gesellschaft schrieb, sondern auch, wie Withold Bonner zu Recht in seinem informativen Nachwort bemerkt, dass diese Romanfragmente die Annahme der Literaturgeschichtsschreibung aus den Angeln heben, es habe in der Autorengeneration Brigitte Reimanns eine Phase des ungebrochenen Glaubens gegeben. Dass diese Manuskripte von den Verlagen abgelehnt wurden, muss Brigitte Reimann weit zurückgeworfen haben. Sowohl im Text „Das Mädchen auf der Lotosblume“ (1956) als auch in „Wenn die Stunde ist, zu sprechen“, das sie 1952 zu schreiben begann und 1955 stark überarbeitete, bricht Brigitte Reimann so radikal mit Tabus wie danach nie wieder.

„Das Mädchen auf der Lotosblume“ erzählt die Geschichte der Malerin Maria, die sich in einem Künstlerheim in zwei Männer verliebt und sich in ihrer Suche nach dem eigenen Stil mit den „Scheuklappen-Dogmatikern“ des Sozialistischen Realismus anlegt, aber auch mit den Autoren und Malern, die ihren Auftrag brav erfüllen und den Sozialismus als „Arbeitshaus“ darstellen, alles „rosa in rosa“, wie Maria findet. „Wenn die Stunde ist, zu sprechen“ berichtet von der Schülern Eva, die neu an eine Schule kommt, sofort die Leitung der FDJ an sich reißt und dabei lernen muss, dass ihre linientreuen Ideen ziemlich wenig mit der Wirklichkeit an der Schule zu tun haben. Mal wundert sich Eva bei einer Sammlung von Spendengeldern, dass es in einem Land, in dem alles Volkseigentum sein soll, so große soziale Unterschiede gibt, mal freundet sie sich mit einem jüdischen Mitschüler an und stellt so den antifaschistischen Konsens auf den Kopf, nach dem Juden in der DDR gegenüber Widerstandskämpfern häufig als Opfer des Faschismus zweiter Klasse behandelt wurden.

Doch auch wen es nicht so sehr interessiert, wie weit die Kritik an der DDR in den eigenen Reihen von Anfang an ging, der wird die beiden Romanfragmente Brigitte Reimanns mit Spannung lesen. Es ist einfach so selten zu erfahren, wie schreibende Frauen vor fünfzig Jahren damit zurechtgekommen sind, dass sie als Teenager noch im Bund Deutscher Mädel waren und Mutter und Hausfrau werden wollten und sich dann plötzlich emanzipierten. Viel an den beiden Manuskripten Brigitte Reimanns klingt zwar so backfischig und pennälerhaft wie „Ferien auf Immenhof“, hier spielt eine je nach Bedarf „süßer Fratz“ oder „Dame“, dort sind Männer die Helden und Mädchen die „hübschen Larven“, die „tuscheln“, bis es wehtut – und trotzdem wollen Reimanns Frauen unbedingt in die Welt. Maria, die Malerin, führt ein bohemistisches Leben und fühlt sich sofort ausgeschlossen, wenn sich zwei ihrer männlichen Kollegen ins Gespräch vertiefen. Sie will zwar auch als schöne Frau, noch mehr aber als Künstlerin ernst genommen werden. Und Eva, die Schülerin, zieht nicht nur alle Blicke auf sich, sie ist auch die Klassenbeste und wild entschlossen, die Schule zu politisieren. Damit wird sie zur Figur, mit der man sich weniger identifiziert als mit Maria – trotzdem schillert ihre Durchsetzungskraft reizvoll. Dass man seinen Willen zur Mitgestaltung als Frau nur schwer mit vielen privaten Bedürfnissen unter einen Hut bekommt, konnte man so plastisch in Büchern aus dem Westen erst zwanzig Jahre später nachlesen.

Brigitte Reimann: „Das Mädchen auf der Lotosblume“. Aufbau Verlag, Berlin 2003, 220 Seiten, 18,90 Euro