: In Zukunft (fast) alle Macht der Schulkonferenz?
■ Rosie Raab legt neues Schulverfassungsgesetz vor: Die Schüler sollen jetzt bei den Zeugniskonferenzen dabei sein / Veto-Recht für neuzubildene Landesschulkammer
Wer sich als Schüler oder Elternvertreter schon einmal in eine Schulkonferenz hat wählen lassen, weiß, wovon Rosemarie Raab gestern sprach. Dieses oberste Gremium aller Schulen ist zwar seit Anfang der 70er wunderbar drittelparitätisch durch Lehrer, Eltern und Schüler besetzt. Wirklich etwas zu entscheiden hat aber in wesentlichen Fragen nur die viel mächtigere Lehrerkonferenz.
Dies soll jetzt anders werden. Die Schulsenatorin legte gestern den Entwurf für ein neues „Schulverfassungsgesetz“ vor, das „mehr Demokratie“ in die Schulen bringen soll. An der Zusammensetzung dieses bisherigen Einschlafgremiums ändert sich nichts. Auch hat die Schulleitung weiterhin ein Veto-Recht, wenn sie meint, einen Beschluß nicht verantworten zu können. Großzügig ausgeweitet sind dagegen die Themen, über die entschieden wird: Abweichungen von der Stundentafel, Reduzierung von Hausaufgaben und Klassenarbeiten und die Einrichtung von „fächerübergreifenden Lernbereichen“ können ebenso auf der Tagesordnung der kleinen Schulparlamente stehen wie die Abschaffung von Noten in Klasse fünf und sechs oder die Festlegung pädagogischer Schwerpunkte in einem „Schulprogramm“. Und auch der Streit, wofür die Schulen zur eigenen Verfügung stehende Haushaltsmittel ausgeben – wovon es mehr geben soll –, wird künftig drittelparitätisch geführt.
Die Verlagerung all dieser Kompetenzen wurde bereits in dem im November publizierten Entwurf für ein neues Schulgesetz erwähnt und hatte entschiedenen Protest konservativer Lehrer provoziert. Als eine Konzession an diese Bedenken hat die SPD-Politikerin zwei Schwellen eingeführt. Alle Entscheidungen, die pädagogische Fragen betreffen, müssen mit Zweidrittelmehrheit gefällt werden. Und auch danach hat die Lehrerkonferenz noch ein „Beanstandungsrecht“. Kommt es zu keiner Einigung, richtet die Behörde.
Das neue Gesetz bedeute keinesfalls einen „Rückzug des Staates aus der Verantwortung“, betonte Raab. So habe die Behörde neben ihrer verstärkten „Beratungs- und Unterstützungsfunktion“ für die einzelne Schule auch dafür zu sorgen, daß das Bildungsangebot „keine spezifischen Schülerschaften ausschließt“.
Spannend wird es für die Klassensprecher. Sie dürfen ebenso wie Elternvertreter künftig bei Zeugniskonferenzen dabei sein. Den Delegierten der Schulkonferenz ist zudem gestattet, der Lehrerkonferenz in die Karten zu gucken. Die wiederum muß das Exklusivrecht der Auswahl des Schulleiters mit der Schulkonferenz teilen. Im Gegenzug wird die Schulleitung durch „präzisere Aufgabenbeschreibung“ gestärkt. Weil es das Bundesverfassungsgericht so will, wird dieser Posten auch künftig lebenslang vergeben. Allerdings darf die Schule beantragen, eine „kollegiale Schulleitung“ einzuführen.
Ein bißchen eigene Macht abgeben will Raab auch. Aber zu harten Konditionen. So gilt das Angebot an Elternkammer, Schülerkammer und Lehrerkammer, alles zu lassen, wie es ist. Deren langjähriger Forderung, bei Behördenentscheidungen ein aufschiebendes Veto-Recht zu bekommen, soll nur eingelöst werden, wenn sich die Kammern auflösen und zu einer „Landesschulkammer“ zusammentun.
Der Diskussionsentwurf wird kommende Woche an die Schulen verteilt. Bis zum 1. November wartet die Schulbehörde schriftliche Stellungnahmen ab. Raab rechnete gestern damit, daß der endgültige Referentenentwurf für Schulgesetz und Schulverfassungsgesetz noch vor der Sommerpause –96 die Bürgerschaft erreicht.
Bis dahin wird das 50-Seiten-Papier gewiß vielfältig kommentiert. Die schnellste war gestern Ingeborg Knipper, die „Umgereimtheiten“ monierte, etwa bei der Frage, für welchen Zeitraum die Schulkonferenzen Entscheidungen treffen dürften. Voll des Lobes dagegen GEW-Chef Hans-Peter de Lorent, der sich freute, daß „die Demokratisierung der Schule konkret wird“. Kaija Kutter
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