„Ich habe meine Kinder nicht getötet!“

■ Im Prozeß wegen Kindesmord gegen Monika Weimar werfen die Rechtsanwälte der Angeklagten in ihrem Schlußplädoyer der Staatsanwaltschaft Ignoranz vor / Monika Weimar selbst streitet weiterhin jede Schuld ab und belastet ihren Mann

Von Heide Platen

Frankfurt (taz) - Die vielen älteren Frauen, die immer hierher kommen, verlassen das barocke Fuldaer Landgericht am Montag nachmittag besonders zornig. „Wenn die freigesprochen wird“, schimpft eine lauthals, „dann mach ich auch ein Kind platt!“ Den Freispruch hatten kurz vorher die Rechtsanwälte Wolf–Rüdiger Schultze und Ulrich Dähn für ihre Mandantin Monika Weimar gefordert. Sie stellten ihren Antrag im krassen Gegensatz zu Staatsanwalt Hans Wachter, der die 29jährige Krankenpflegehelferin wegen Mordes an ihren fünf– und siebenjährigen Töchtern Melanie und Karola lebenslänglich hinter Gittern wissen will. Kein Mitleid mehr Neun Monate dauerte das Verfahren, das am 4. Januar mit dem Urteil beendet werden soll. Monika Weimar sprach zum Ende ein Schlußwort, das sie nach über einjähriger Untersuchungshaft im Gefängnis verfaßt hatte, und begann mit den Worten: „Ich habe meine Kinder nicht getötet!“ Sie beschuldigte noch einmal ihren Ehemann Reinhard Weimar der Tat. Nur um dieses und damit gleichzeitig ihre Unschuld zu beweisen, habe sie die Untersuchungshaft und den Prozeß durchgestanden. Sie sagte auch: „Ich habe viele Fehler gemacht, die mich nicht zur Ruhe kommen lassen.“ Sie werfe sich heute vor, daß sie den Mann nicht verlassen habe, daß sie die Kinder bei ihm in der Wohnung ließ, als sie sich mit ihrem amerikanischen Freund zum Tanzen traf. Daß sie in der Nacht zum 4. August 1986, als sie ihren Ehemann neben den toten Kindern entdeckt hatte, keine Hilfe geholt habe, könne sie sich heute selber kaum erklären. Sie habe „automatisch gehandelt“, sich mitschuldig gefühlt, auch Mitleid mit dem Ehemann gehabt: „Ich habe in der Haft gelernt, kein Mitleid mehr zu haben.“ Für ihre Unentschlossenheit, die Ehe zu beenden, habe sie „einen hohen Preis bezahlt“: „Ich stehe vor dem Nichts, ich kann mir nicht vorstellen, was aus mir werden soll.“ Die Rechtsanwälte Dähn und Schultze warfen der Staatsanwaltschaft vor, sie habe ihren Antrag gestellt, als habe die Hauptverhandlung nicht stattgefunden. Sie stellten sowohl die Aussagen der Hauptbelastungszeugen als auch die von der Anklagebehörde angenommene Tatzeit in Frage. Dieses Rechenexempel um Minuten war während der gesamten Verhandlungszeit immer wieder erörtert worden. Unklarer Zeitablauf Hat die Angeklagte die Zeit gehabt, ihre beiden Kinder zwischen 11 und 12 Uhr vormittags kilometerweit von der Wohnung entfernt umzubringen und sie dann an zwei verschiedenen Stellen am Straßenrand zu verstecken? Während die einen Zeugen die Kinder noch - mit während des Verfahrens steigendem Erinnerungsvermögen - genau um „fünf Minuten vor elf, es ging auf vier Minuten vor zu“, lebend auf dem Spielplatz im osthessischen Wohnort Röhrigshof–Nippe gesehen haben wollen, sagten andere, sie sahen Monika Weimar zur fast gleichen Zeit am Fundort der Leiche der Melanie Weimar. Daß sie dort war, hatte die Frau nie bestritten. Als sie von ihrem Mann erfahren hatte, wohin er die Kinder gebracht habe, habe sie sie noch einmal sehen wollen, aber nur das eine Kind gefunden. Ihre nachweislich vorher bei Bank und Post gemachten Besorgungen habe sie unternommen, um einen Grund für ihre Abwesenheit von zu Hause zu haben. Fünf–Stunden–Pladoyer Das rund fünfstündige Plädoyer setzte sich akribisch mit den Ergebnissen der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung auseinander. Diese habe ergeben, daß zahlreiche Zeugenaussagen die Angaben von Monika Weimar stütze, sie seien aber von den Ermittlern dennoch gegen die Frau verwandt worden. Nur die Zeugen um die Nachbarn N., eine mit den Weimars zerstrittene Familie, stützten die „Version“ der Staatsanwaltschaft. Sicher sei aber nur, „daß die Kinder irgendwann, irgendwie und wozu auch immer umgebracht wurden.“ Nicht einmal das angenommene Motiv halte der Anklage stand. Zwei Psychologische Gutachten hatten ergeben, daß Monika Weimar ihrem amerikanischen Freund keinesfalls „sexuell hörig“ und die Kinder der Beziehung auch nicht im Wege gewesen seien. Die Anwälte mokierten sich auch über das wachsende Erinnerungsvermögen der Hauptbelastungszeugin N. So sei ihr erst ein halbes Jahr nach der Tat eingefallen, daß sie die Kinder nicht nur gegen elf Uhr am Tattag lebend gesehen habe, sondern daß diese schon eine halbe Stunde vorher bei ihr geklingelt hätten. Den Rechtsanwälten, die ihre Aussage in Frage stellten, habe die Frau eine Strafanzeige ins Haus geschickt. In einem - abgehörten - Telefongespräch habe sie Reinhard Weimar einmal versichert: „Wir sind vier, da können die nicht sagen, daß wir lügen!“ Faserige Indizien Auch Indizien reichen nach Meinung der Rechtsanwälte für eine Verurteilung von Monika Weimar nicht aus. Obduktionsbefund und Fasergutachten des Landeskriminalamtes ergäben keine Hinweise auf ihre Täterschaft. Es seien zwar Fasern von Monika Weimars Kleidern an den Kindern gefunden worden. Diese aber könnten auch vom Kontakt der Kinder mit der Mutter am Vorabend stammen. Außerdem seien von ihr 28 Kleidungsstücke, vom Vater aber nur drei untersucht worden. Auch spreche sehr viel dafür, daß Reinhard Weimar als Täter in Frage komme. Er sei viel mehr in psychischer Bedrängnis gewesen als seine Frau. Sie habe ihn verlassen und ihre Kinder mitnehmen wollen. Er habe nicht gewußt, wohin. Rechtsanwalt Schultze: „Reinhard saß im Grunde in der Ecke wie ein Regenschirm, den man da stehen läßt.“ Er habe sich einer Trennung „geradezu klettenartig widersetzt“ und nicht aus noch ein gewußt. Auch habe er „beinahe“ ein Geständnis abgelegt. Dies sei von den Ermittlern aber ignoriert worden. Nach Meinung der Verteidigung habe er „aus gekränkter Ehre“ getötet. Schultze zitierte einen Vater, der gestand, warum er seine Kinder tötete: „Ich wollte ihr alles nehmen, was sie hatte, weil sie mich allein ließ.“