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Archiv-Artikel

„Ich habe den Kids meine Musik rübergebracht“

DER MUSIKPRODUZENT Seine Faszination für deutschen Krautrock führte den Briten Mark Reeder 1978 nach Westberlin. Neugierig auf das Berlin hinter der Mauer, wurde der Osten bald sein Abenteuerspielplatz. Ein Gespräch mit dem Gründer des Elektro-Labels MFS über eingeschleuste Musik, illegale Konzerte und eine Plattenproduktion in der DDR

Mark Reeder

■ 1958 in Manchester geboren, begann Reeder in den Siebzigern in diversen Bands wie bei The Frantic Elevators mit Mick Hucknall [später Simply Red, Anm. d. Red.] zu spielen. 1978 ging er nach Westberlin, wo er für das Label Factory Records die Platten von Joy Division promoten sollte, sich aber mehr um die alternative Musikszene der Stadt kümmerte.

■ Reeder war Tontechniker und Manager der Frauenband Malaria!, aber auch unermüdlicher Ost-West-Pendler, der Kassetten über die Mauer schmuggelte und illegale Konzerte von Westbands im Osten organisierte.

■ Nach dem Mauerfall gehörte er zu den umtriebigsten Leuten der Technoszene und veröffentlichte auf seinen Labels unter anderem Cosmic Baby und Paul van Dyk.

■ Sein jüngstes Werk als Musikproduzent ist die jüngst bei Factory Benelux erschienene CD Collaborator mit Mixen von WestBam, Anne Clark und Bad Lieutenant.

■ Neben seinen Musikprojekten trat Reeder gelegentlich als Schauspieler in Horrorfilmen auf, so in Jörg Buttgereits Low-Budget-Produktionen Der Todesking und Nekromantik. Außerdem war er eine Zeit lang Betreiber der Pinguin-Bar in Schöneberg. (leue)

INTERVIEW GUNNAR LEUE FOTOS ALISA RESNIK

taz: Herr Reeder, die Briten lieben Berlin, und die Berliner erwidern diese Liebe. Zuletzt war die Ausstellung über Berlins Lieblingsbriten David Bowie, ein richtiger Publikumsmagnet. Nervt Sie der Hype um ihn?

Mark Reeder: Ne, ich fand die Ausstellung gut. Und Bowie war ja wirklich wichtig für Berlin. Die Aura der abgefahrenen Stadt mit ihren Freiräumen für Künstler, in der man billig leben konnte, das wirkt ja irgendwie bis heute nach.

Klaus Wowereit hat den Spruch „Arm, aber sexy“ in die Welt gesetzt, aber entstanden ist der Mythos der Kreativen- und Partystadt eigentlich in den Siebzigern, nicht zuletzt durch die Briten, oder?

Also, als Bowie damals nach Berlin ging, haben sich seine Landsleute zu Hause schon sehr gewundert.

Sie sind 1978 nach Berlin gekommen. Können Sie sich noch an Ihren ersten Eindruck von der Stadt erinnern?

Klar, es war Scheißwetter, Dauernieselregen. Ich stand vor dem Fernmeldeamt in der Winterfeldtstraße und dachte: Ist ja wie zu Hause in Manchester. Das Ambiente mit den Gaslaternen wirkte so miefig und düster, dass ich mich gleich heimisch fühlte. Am Ende der Straße war eine Kneipe. Hinter dem Tresen stand eine riesengroße Transe mit knallroten Haaren und grellem Make-up. Trotz Punk – so was hat man zu der Zeit in Manchester nie in der Öffentlichkeit gesehen. In dem Moment war mir klar: Jetzt bin ich in Berlin.

Als ich vor Jahren in „Control“, dm Film über den Sänger der Post-Punk-Band Joy Division Ian Curtis, Bilder von Manchester sah, war mein erster Gedanke: Das sieht ja genauso aus wie früher im Osten.

Die Plattenbauten in der DDR waren Paläste im Vergleich zu den Wohngebieten in Manchester. Die waren Slums und eher vergleichbar mit Bukarest, völlig verdreckt und kaputt.

Sahen Sie als Jugendlicher Ihre berufliche Perspektive – wie angeblich alle Manchester-Kids – eher als Fußballer oder Musiker?

Ich habe mich natürlich für Musik interessiert und auch selbst welche gemacht, unter anderem war ich Bassist in einer Band The Frantic Elevators mit Mick Hucknall [später Simply Red/Anm. d .R.]. Was mich sehr früh faszinierte, war deutscher Krautrock und Elektronik. Ich hatte in einem kleinen Virgin-Plattenladen gearbeitet und dadurch Zugang zu Importplatten von Tangerine Dream, Klaus Schulze, Kraftwerk. Ich bin ja Synthesizer-Fan. Mensch-Maschine war eine komplett neue Dimension, richtige Zukunftsmusik. Das hat mich auch veranlasst, das Land, aus dem sie kam, unbedingt mal zu besuchen. Also reiste ich nach Düsseldorf, Köln und Hamburg.

Die Verbindung zu Ihrer Heimat hielten Sie vor allem über die Musik?

1978 hatte Musikmanager Tony Wilson in Manchester gerade das Plattenlabel Factory Records gegründet. Sein Partner war der Joy-Divisions-Manager Rob Gretton, ein alter Freund von mir. Kurz nach meiner Ankunft in Berlin fragte der mich, ob ich die Factory/Joy Division-Platten in Deutschland promoten würde. Das habe ich getan, allerdings fand ich die deutschen Musiker in Berlin genauso spannend. Die Szene war klein, und man traf immer dieselben Gesichter: Neubauten, Gudrun Gut etc. Für mich war die Insel Westberlin unheimlich faszinierend, weil die Spielregeln der ganzen restlichen Popmusik hier kaum beachtet wurden. In Berlin war alles freier. Und dann war da ja noch Ostberlin gleich nebenan.

Was selbst die meisten Westberliner kaum interessierte. Warum aber Sie?

Aus Neugierde. Ich sah mit anderen Augen als die Deutschen rüber. Mich hat die Frustration auf den Osten nicht so stark berührt, ich bin als neutraler Mensch auf die DDR zugegangen. Wir Engländer sind sehr individuell. Was wir nicht verstehen, ist, wie so ein totalitäres Regime zustande kommt und wie man damit leben kann. Wir hatten nie Faschismus oder Kommunismus. Ich bin oft mit befreundeten Musikern aus England nach Ostberlin rüber, mit Joy Divison, The Fall, dem Radiomoderator John Peel. Ich habe ihm erzählt, dass er auch dort viele Fans hat, die ständig seine Radiosendungen hören. Ich glaube, ihm selbst war nicht wirklich bewusst, wie viel er mit seinen Sendungen zur Zerstörung des Systems beigetragen hat.

Gerade jetzt vor dem Mauerfalljubiläum wird wieder viel über die Ursachen reflektiert. Wird die subversive Ausstrahlung der alternativen Westberlin-Kultur über- oder unterschätzt?

Ich glaube, dass Musik, Mode, freie Kunst einen großen Anteil an der Untergrabung des Systems im Osten hatten.

Sie haben sich damals selbst als Schleuser der Westkultur verstanden?

Seit ich nach Ostberlin fuhr, hatte ich den Drang, den Kids im Osten die Musik zu bringen, die sie vom Westen kannten, aber nicht offiziell hören durften. Mein Gedanke war: Wenn sie nicht in den Westen dürfen, um ihre Lieblingsmusiker zu hören, bringen wir eben die Musik zu ihnen. Also habe ich Kassetten und Bands zu ihnen rübergebracht.

Wie die Toten Hosen?

Wir haben zwei illegale Konzerte mit ihnen organisiert, einmal 1983 in der Erlöserkirche in Rummelsburg und eines 1988 auf einem Kirchengelände in Pankow Hoffnungskirche. Das war damals ein sehr riskantes Abenteuer.

Wie kamen Sie auf die Idee?

Ich saß mit Freunden in Ostberlin in einer Kneipe, wo ich mit einem Typen ins Gespräch kam. Der erzählte von irgendwelchen Bluesmessen in Kirchen, was mich sofort elektrisierte. Wir nahmen Kontakt zum Pfarrer in Rummelsburg auf, fragten, ob man da nicht mal eine Punkband aus dem Westen spielen lassen könnte. Damals war ich unter anderem Live-Mixer der Toten Hosen und dachte gleich an sie. Dem Pfarrer war die ganze Sache erst suspekt, dann hat er jedoch zugestimmt. Freunde aus Ostberlin haben Verstärker und die Instrumente aufgetrieben. Die Toten Hosen sind mit Touristenvisum rübergefahren. Ich wollte eigentlich auch mit meiner eigenen Band Die Unbekannten auftreten, aber wir konnten keinen Synthesizer auftreiben. Das Konzert fand nur vor ein paar Freundesfreunden meiner Ostbekannten statt. Ich habe Tränen vor Glück vergossen.

Sie haben auch erstmalig eine DDR-Band ins englische Fernsehen gebracht …

Für die Sendung The Tube auf Tyne Tees Television haben wir 1983 ein Berlin Special gedreht mit den Einstürzenden Neubauten und den Ärzten als Protagonisten der Westberliner Szene. Dazu wollten wir zeigen, dass es auch in der DDR neue junge Ost-Punkbands gab. Doch eine mit offizieller Drehgenehmigung zu filmen war praktisch unmöglich, weil es offiziell gar keine Punks im Arbeiter-und-Bauern-Staat gab. Ich habe dann in der Straßenbahn zwei Typen mit Gitarrenkoffer gesehen, die ein bisschen aussahen wie nette Punks von nebenan. Denen habe ich erzählt, dass ich fürs britische Fernsehen eine junge Band suche. Die haben mich angeguckt wie einen Geisteskranken. Mit vielen Tricks bekamen wir auch eine Drehgenehmigung, weil die Band – sie hieß Jessica – nicht punkig war, sondern eher new-wavig und auch noch Deutsch sang.

Die Stasi muss Sie doch schnell auf dem Kieker gehabt haben?

Klar, die hatten mich relativ schnell im Visier, weil ich Kontakt zu vielen Punkkids hatte und einige von denen wohl auch IMs waren. Das Wort Underground bedeutete für die Stasi nicht Musik, sondern politisch und subversiv.

Trotzdem durften Sie 1989 beim DDR-Staatslabel Amiga das Debütalbum der Band Die Vision produzieren. Wie ging das?

Ich vermute mal, dass die Stasi kontrollieren wollte, was ich so treibe. Lieber ließen sie mich offiziell eine Platte produzieren, als irgendwelche subversiven Sachen veranstalten. Vielleicht dachten die sogar, ich sei ein Westagent. Ich war jedenfalls der erste und einzige Westproduzent bei Amiga, worüber ich mich hinterher auch gewundert habe. Eines Tages stand Geyer, der Sänger von Die Vision, vor mir. Angeblich durfte er als „Invalide mit Herzfehler“ ausreisen. Er sagte, die Band wolle unbedingt mich als Produzenten für ihre Platte, die sie sogar auf Englisch einsingen dürften. Ich musste dann zum Amiga-Büro, um alles zu regeln, Studiozeiten, die Bezahlung – war übrigens in Ostmark.

Und dann sind Sie im September/Oktober 1989 zwischen Ost- und Westberlin gependelt?

Ich hatte ein Arbeitsvisum für die DDR und wohnte oft im Osten bei Geyer oder bei Freunden. Das Studio in der Brunnenstraße war übrigens großartig, ganz altmodisches Ambiente, und der Tonmeister war ein absoluter Meister seines Fachs. Die LP Torture wurde die letzte Albumproduktion der „alten“ DDR. Wenige Tage vor dem Mauerfall waren wir fertig. Abgemischt wurde sie im Westen und im Februar 1990 herausgebracht.

Ihr Job bei Amiga fand in der heißesten Wendephase statt. Wie haben Sie sie empfunden?

Alles rundum brach zusammen, und ich dachte: Was geht denn hier ab?! Alle Leute hauen aus der DDR ab, und ich sitze im Amiga-Studio. Auch etliche meiner Ostfreunde waren in den Westen gegangen, das war schon gespenstisch. Man spürte, dass sich die Stimmung in der Bevölkerung drehte und dass es eine positivere Energie für Veränderungen gab, aber ich hätte nie geahnt, dass bald die Mauer fallen würde.

Was am 9. November geschah …

… leider ohne mich. Am 8. November war ich mit Berliner Engländern, darunter Musikjournalist Dave Rimmer und Radiomoderator Trevor Wilson, über Polen nach Rumänien aufgebrochen. Es war eine langfristig geplante Reise. In Osteuropa haben wir erst nach Tagen mitbekommen, was in Berlin los ist. Als wir nach zwei Wochen zurückkamen, war nichts mehr wie zuvor. Überall Menschen, Trabis. Ich war schockiert, ausgerechnet während wir weg waren, fiel die Mauer.

Ihr Abenteuerspielplatz DDR war passé. Fanden Sie das ärgerlich?

„Das Wichtigste ist, dass in Berlin das freie Denken bewahrt wird“

Dass unser Disneyland und diese Nichtkonsumgesellschaft, die wir so schön fanden, nun weg war, realisierte ich erst später. Ich war eher enttäuscht. Fucking zehn Jahre hatten wir sozusagen an der Mauer rumgemeißelt, und dann verpassen wir den Moment, als sie fällt.

Andererseits haben Sie schnell die Chance ergriffen, das gesetzliche Niemandsland im Osten zu beackern.

Im Dezember 1990 habe ich das Label Masterminded For Success (MFS) gegründet, um jungen Musikern vor allem aus dem Osten die Möglichkeit zu geben, elektronische Dancemusic zu veröffentlichen. Das Label war eine Kooperation mit den Amiga-Leuten. Aber die wussten von Techno und dergleichen gar nichts. Also habe ich das Label selbst aufgebaut, wobei ich die Infrastruktur des Amiga-Nachfolgers Deutsche Schallplatte nutzen konnte. Als ich das Label MFS nannte, sind die Ostler allerdings ausgeflippt, weil es die Abkürzung für Ministerium für Staatssicherheit war. Ich fand die Abkürzung total passend und schrieb auf meine Poster „MFS. Wir sind zurück“. Hat ja auch geklappt. Sozusagen von einem Terrororgan zum nächsten. Jetzt ist Technoterror. Auf MFS und seinen Sublabels veröffentlichten wir Künstler wie Cosmic Baby, Dr. Motte und Paul van Dyk.

Viele aus der Berliner Techno- und Clubszene haben nach der Wende ihren Reibach gemacht. Wie sah es bei Ihnen aus?

Geld braucht man zwar zum Leben, aber ich werde nicht durch Geld angetrieben.

Gerade haben Sie auf dem wiederauferstandenen Factory-Benelux-Label eine neue CD mit Remixen veröffentlicht. War die Zeit reif, auf Ihre vielen musikalischen Kollaborationen zurückzuschauen?

Vielleicht. „Collaborator“ ist eine Art Retrospektive, aber mit neuen Mixen von WestBam oder Queen of Hearts, Anne Clark oder Bad Lieutenant, aber auch von meinen eigenen Bands Die Unbekannten oder Shark Vegas.

Elektronische Tanzmusik aus Berlin – ist das noch ein künstlerisch interessantes Genre oder ist es vor allem ein Superverkaufslabel für die Partystadt?

Schon, aber ich warte eigentlich längst auf eine neue Musik- und Veranstaltungsform. Die Technoszene ist ja nun schon über 25 Jahre alt. Wenn man das mit anderen musikalischen Trends vergleicht, ist das echt lang. Aber das hängt eben auch damit zusammen, wie die Leute heute Musik konsumieren. Vor allem zum Feiern und Partymachen.

Das Berlin Festival ist gerade in den Arena Park umgezogen, dichter ans Ausgehzentrum der Partytouristen. Manch einer sieht das künftige Berlin schon dem Ballermanntourismus überlassen und von Kreativen verlassen.

Die Diskussion, ob Berlin noch hip ist und ein Anziehungspunkt für Kreative bleibt, ist einfach Blödsinn. Berlin ist eine relaxte Stadt, die immer noch Freiheiten bietet, die man nirgendwo anders hat. Berlin ist keine Geldstadt.

Wird es nicht gerade eine?

Ach, die Leute kaufen Häuser und denken ans schnelle Geld, das ist nun mal der bittere Nachgeschmack der Mauerfallgeschichte. Trotzdem, hier ist weder die Finanzwelt noch Industrie. Berlin hat immer von den verrückten, kreativen Leuten gelebt, das wird so bleiben. Das Wichtigste ist, dass das freie Denken hier bewahrt wird.