: „Ich habe Menschen bestochen“
John Rengen hat über dreißig Jahre für die „Globalplayer“ in der Pharmabranche gearbeitet. Jetzt packt er aus und gibt einen Einblick in die schmutzige Trickkiste der Pharmaindustrie. Korruption, Bestechung und das Verschwindenlassen von unerwünschten Studienergebnissen gehören zum Geschäft
INTERVIEW ELKE BRÜSER
taz: Haben Sie früher auch schlecht geträumt?
John Rengen: Nein. Ich habe gut gelebt.
Woher kommen jetzt die Albträume?
Ich war über dreißig Jahre korrupt, habe Menschen bestochen und die Manipulation von Daten gedeckt.
Da sind Sie nicht der Einzige.
Klar. Aber es geht hier um kranke Menschen beziehungsweise um Menschen, die durch diese Präparate erst richtig krank werden oder sich umbringen oder andere gefährden.
Wie meinen Sie das?
Es ist kein Geheimnis, dass Arzneimittelstudien, die schlecht ausgehen, oft nicht veröffentlich werden. Sie werden auch nicht den Behörden vorgelegt, die etwa über die Zulassung eines Medikaments entscheiden. Sie verschwinden einfach in den Schubladen der Firmen.
Fluoxetin kann nicht nur Angst, Nervosität und Schlaflosigkeit herbeiführen, es besteht auch das Risiko von aggressivem Verhalten und konkreten Suizidgedanken, weil depressive Patienten durch den selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer aktiviert werden. Wussten Sie das schon damals?
Ja, solche negative Effekte waren bekannt.
Und die alarmierenden Daten wurden unterdrückt?
Ja. Sie wurden jedenfalls nicht weiter verfolgt, um die Zulassung nicht zu gefährden.
Kürzlich hat der medizinische Informationsdienst „arznei-telegramm“ geschrieben, dass eine Pharmafirma acht Studien auf den Weg bringen muss, damit sie zwei positive erhält. Die braucht sie, um die Zulassungsbehörden vom Nutzen ihres neuen Mittels zu überzeugen. Stimmt das?
Im Prinzip ja. Nur dass jedes Land sein eigenes Süppchen kocht. Auch innerhalb der EU werden in den einzelnen Staaten unterschiedliche Kriterien angelegt – trotz einer europäischen Arzneimittelbehörde. Und dennoch schielt die eine Zulassungsbehörde auf die andere.
Was heißt das?
Ich war in Schweden acht Jahre lang Geschäftsführer von Eli Lilly und sollte dafür sorgen, dass Fluoxetin dort auf den Markt kommt. Das war wichtig für die Firma, denn damals war das Mittel nur in Belgien zugelassen. Schweden ist schon wegen des Nobelpreises ein renommiertes Land und die Psychiatrie genoss hohes Ansehen. In Deutschland hatte die zuständige Behörde, damals das Bundesgesundheitsamt, Einwände gegen die Zulassung von Fluoxetin. Gar nicht gut für die Firma.
Was war Ihr Job?
Ich kümmerte mich darum, dass es positiv ausgehende Studien gab. In Schweden reichte es nicht, dass irgendwo auf der Welt solche Studien gemacht worden waren, das nationale Zulassungsprozedere verlangte auch lokale Studien. Welche aus Schweden.
Und was lässt Sie heute schlecht schlafen?
Die Methoden, die ich anwandte. Sie waren damals jedenfalls in Schweden neu. Es war schlicht Bestechung. Ich schloss so etwas wie Freundschaft mit sogenannten Meinungsbildnern oder solchen, die es werden wollten. Und ich brachte sie dazu, Nebenwirkungen in ihren Beiträgen zu unterdrücken und ein positives Votum abzugeben.
Ein leichter Job?
Nicht unbedingt. Aber ich habe Pharmakologie und Medizin studiert. War in jungen Jahren Popsänger und meine Lehrjahre bei Lilly hatten mich zum Genießer gemacht. Ich habe die Fachleute, die wir brauchten, geprofiled: Hobbys, Kinder, Vorlieben der Frau. Das ließ sich alles bedienen. Ich arrangierte Gourmetessen in Nobelrestaurants, am Nebentisch die schwedische Königin, exquisite Weinproben, Symposien in den Tropen. Schweden mögen das. Der Winter ist lang und dunkel. Ich fand die richtigen Jazzkeller, sang auch mal selbst und bezahlte die Prostituierten.
Floss auch Geld?
Ja, auch. Aber in Schweden war die Vermögenssteuer extrem hoch. Da muss man sich auch andere Sachen einfallen lassen. Eine Studie mit guten Resultaten, die hat uns damals etwa 10.000 Dollar gekostet. Das war vor mehr als zwanzig Jahren eine Menge Geld. Und eigentlich nur das Taschengeld, denn der Herr Professor bekam von Lilly auch noch die Zusage für eine Langzeitstudie. Das bringt Geld in die Klinik und nützt dem Renommee.
Kennen Sie das Ergebnis der Studie?
Nein, ich gehe davon aus, dass es keine gibt.
Wurde Fluoxetin in Schweden zugelassen?
Nie.
Dann waren Sie also erfolglos?
Nein, denn ich habe für einen guten Preis gesorgt. Der war dann maßgeblich für andere Länder. Das läuft in Schweden nämlich so: Bereits vor der endgültigen Zulassung verhandelt die Pharmafirma mit der Wirtschaftsbehörde über den zukünftigen Preis des Präparats. Mit 1,20 US-Dollar pro Tagesdosis von 20 Milligramm in der Achtzigerjahren, fiel der ansehnlich aus. Eine gute Verhandlungsbasis für den Konzern auf dem Weltmarkt.
Es hat aber lange gedauert, bis sich Ihr schlechtes Gewissen gemeldet hat.
Leider, sage ich heute. Allerdings habe ich schon früher einiges versucht.
Oder wollen Sie sich rächen, weil Lilly Sie gefeuert hat. Ohne Anerkennung Ihrer Dienste, ohne Rentenansprüche?
Nein, das ist nicht der Grund, obwohl sie mich gelinkt haben. Ich wurde nach Puerto Rico befördert und einen Monat später fristlos entlassen. Das hätte man in Schweden nicht so machen können. Es hätte die Firma sehr viel Geld gekostet.
Warum prangern Sie erst jetzt die Pharmaindustrie an. Sie wussten doch schon früher, dass Gesetze umgangen und gebrochen werden. Auf Kosten von Patienten.
Ich steckte mein halbes Leben in diesem Betrieb. Ich habe auch für Novo Nordisk gearbeitet und von Florida aus europäische Arzneimittelfirmen vertreten. Ich war skrupellos und egozentrisch. Es ging mir nur um meinen Erfolg.
Und jetzt packen Sie aus.
Ich habe angefangen.
Warum?
Mein kleiner Sohn. Ich sehe ihn aufwachsen und sehe die Welt mit anderen Augen.
Also späte Reue? Durch die Unschuld eines Kindes? Oder eine Beichte am Lebensende? Sie haben einen Herzschrittmacher, haben Diabetes und Ihr Sohn könnte Ihr Enkel sein.
Wissen Sie, mir geht es nicht mehr um die Vergangenheit. Ich bin auch kein Nestbeschmutzer. Mir geht es um die Gegenwart und die Zukunft.
Wie das?
Kürzlich stieß ich auf diese Werbung von Lilly in Eltern. Lilly vermarktet auch ein sogenanntes ADHS-Medikament. Gedacht für Kinder, die überaktiv sind und extrem unaufmerksam. Aber so wie Lilly die Anzeigen macht, da werden Eltern erst auf die Idee gebracht, dass ihr Kind – zappelig in der Schule, nicht so erfolgreich wie erwartet, mit den Gedanken oft woanders – ADHS hat. Eli Lilly rückt mit einer Art Fragebogen Verhaltensauffälligkeiten in die Nähe einer Krankheit, für die die Firma eine Pille hat – eine Krankheit, die ich übrigens für eine Erfindung halte. Direkt werben darf sie in Deutschland nicht für ihr Präparat. Das ist hier zum Glück verboten, da das Mittel verschreibungspflichtig ist.
Worauf wollen Sie hinaus?
Da ich weiß, wie Studien zu Psychopharmaka zustande kommen, kann ich nur sagen Vorsicht. Geht mit euren Kindern Fußball spielen oder Schlittschuh laufen, lasst den Fernseher aus und macht bitte nicht den Taxifahrer für sie. Etwa morgens direkt vor der Schule absetzen.
Gibt es Studien, die zeigen, dass sogenannte ADHS-Kinder dann besser klar kommen?
Schön wär’s. Aber wer soll die bezahlen? Pharmafirmen?
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen