ITALIEN: URTEILE GEGEN SS-KRIEGSVERBRECHER HABEN SYMBOLISCHEN WERT : Historische Wiedergutmachung
Hat das noch irgendeinen Sinn? In Italien wurden am Samstag zehn deutsche Rentner, die 1944 an dem SS-Massaker von Marzabotto beteiligt waren, das fast 800 Tote forderte, zu lebenslanger Haft verurteilt. Was soll es, jetzt nach 63 Jahren noch Opas abzuurteilen, die alle über 80 sind? Vor allem italienische Zeitungen stellen diese Frage.
Gewiss: Keiner der zehn ehemaligen Waffen-SS-Schergen riskiert auch nur einen Tag Gefängnis. In Abwesenheit verurteilt, durch die Bank wohl auch haftunfähig, werden sie weiterleben wie bisher. Nur Italienurlaube müssen sie sich wohl verkneifen, um Verwicklungen zu vermeiden.
Da kann man den Marzabotto-Prozess und die diversen anderen Verfahren, die wegen deutscher Weltkriegsmassaker in Italien noch anhängig sind, schnell für sinn- und nutzlos halten. Da kann man, wie es der italienische Historiker Nicola Caracciolo tut, stattdessen sogar nach Vergebung für die „Vecchietti“, für die „alten Leutchen“, rufen.
Doch keiner der jetzt Verurteilten hat je seine Schuld eingestanden. Keiner hat signalisiert, dass er sich auch nur im Geringsten der Tragweite der von ihm begangenen Verbrechen bewusst wäre. Umso verständlicher ist es, dass die Nachkommen der Opfer von Marzabotto von Vergebung nichts wissen wollen. Sie wollen vielmehr, dass die Täter als Verbrecher gebrandmarkt werden – wenn auch spät, wenn auch für eine wirkliche Sühne zu spät.
Die Nachkommen der Opfer wollen das nicht zuletzt, weil sie die Prozesse auch als ein Stück Wiedergutmachung durch den italienischen Staat empfinden. Bis zur Mitte der Neunzigerjahre hatte die italienische Militärstaatsanwaltschaft Verfahren gegen deutsche Kriegsverbrecher systematisch verhindert, weil man den deutschen Nato-Verbündeten kein Ungemach bereiten wollte – und weil man zudem den Deckel auf den italienischen Kriegsverbrechen in Jugoslawien oder Griechenland halten wollte. So wurden die Toten von Marzabotto ein zweites Mal Opfer. Deshalb wollten ihre Kinder und Enkel den Prozess, und sei es auch nur, weil er die historische Wahrheit noch einmal ins Licht rückt. MICHAEL BRAUN