ITALIEN: LAUNIGE SPARZUSAGEN UND IGNORIERTE STEUERSENKUNGEN : Die Kumpels und der blaue Brief
Ein schöner Tag war das gestern für den italienischen Finanzminister Giulio Tremonti. Als seine europäischen Kollegen berieten, ob Italien wegen seines auf drei Prozent zusteuernden Staatsdefizits wohl eine Frühwarnung verdient habe, waren sie sich schnell einig. So etwas müsse nicht sein, sekundierten sie ihrem Amtskollegen – und schon gar nicht früh. Bis Juli wird die ganze Chose vertagt. Dann sind die Europawahlen über die Bühne, dann steht auch bald die Sommerpause an, und wer weiß, was dann ist. Den anderen Ministern reichte eine einfache „Verpflichtung“, Italien werde etwas zur Einhaltung des Drei-Prozent-Ziels tun. Irgendetwas. So genau wollte das keiner wissen. Schließlich hatten Deutschland und Frankreich eine Dankesschuld abzutragen: Italien war den beiden im letzten Herbst entschlossen beigesprungen, als es galt, das von der EU-Kommission eingeleitete Strafverfahren zu stoppen.
Und während die Regierung Berlusconi in Brüssel billige Selbstverpflichtungen eingeht, plant sie in Rom ganz anderes. Gewiss, kräftige Ausgabenstreichungen stehen im Raum; soziale Leistungen sollen genauso gekappt werden wie Unternehmenssubventionen. Doch anders als in Deutschland sollen die eingesparten Milliarden weder der Haushaltskonsolidierung dienen noch Bildung, Forschung und Entwicklung finanzieren. Stattdessen hat Berlusconi kurz vor den Europawahlen sein altes, nie eingehaltenes Versprechen hervorgeholt: „Weniger Steuern für alle.“ Gleich seinem großen Vorbild Bush aber will er vor allem die Steuern der Großverdiener kräftig senken – der Spitzensteuersatz soll in Zukunft bei 33 Prozent liegen.
Ob das Italiens Konjunktur aufhilft, ist Berlusconi ziemlich egal. Er braucht die Wählerstimmen, um seine Forza Italia aus dem tiefen Umfrageloch zu führen. Egal sind die italienischen Haushaltspläne aber offensichtlich auch den europäischen Finanzministern: Die ließen sich der launigen Selbstverpflichtung zu Spardisziplin abspeisen und nahmen die weit ernster gemeinte Selbstverpflichtung Berlusconis zu massiven Steuersenkungen gar nicht erst zur Kenntnis. MICHAEL BRAUN