piwik no script img

INTERVIEW„Der Markt wird aggressiv ausgebaut“

■ Leo Schuster, Leiter der Abteilung Rauschgiftbekämpfung beim Bundeskriminalamt, über die Möglichkeiten der Polizei beim Kampf gegen harte Drogen

taz: Wie erklären Sie sich den dramatischen Anstieg des Heroinkonsums seit Mitte der achtziger Jahre in Deutschland?

Leo Schuster: Auch der Drogenhandel unterliegt den Gesetzen der Marktwirtschaft. Das Angebot sucht, sich Nachfrage zu schaffen, und Westeuropa fungiert inzwischen als geschlossene Verbraucherregion. Gesättigte Märkte werden durch noch zu erschließende ergänzt. Nehmen wir mal Kokain als Beispiel: Der amerikanische Markt ist gesättigt, also drängen die Kartelle nach Europa.

Dennoch müssen auch die Konsumenten bereit sein, ein so gefährliches Rauschmittel wie Heroin auszuprobieren.

Wir haben in der Tat in diesem Jahr bereits wieder eine Steigerung bei der Zahl der Erstkonsumenten um 639. Die Zahlen steigen seit 1988 jährlich um zehn bis fünfzehn Prozent. Die Gründe für die Bereitschaft, Heroin oder anderes zu probieren, sind bei den Individuen zu suchen. Die Sozialwissenschaftler versuchen sie zu erforschen; man könnte ein ganztägiges Symposium abhalten, um sie alle zu erörtern. Dies ist nicht der Job der Polizei. Wir konstatieren: Der Markt wird im Moment ausgesprochen agressiv ausgebaut.

Im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung einen „nationalen Rauschgiftbekämpfungsplan“ beschlossen. Der Plan ist offenkundig gescheitert.

Der Plan ist im Prinzip vernünftig und richtig. Aber sicherheitspolitische Maßnahmen, das heißt alle polizeilichen Maßnahmen, sind immer die ultima ratio. Die Prävention, der in dem Plan ein großer Stellenwert zugemessen wird, ist das Entscheidende. Wenn hier keine Erfolge erzielt werden, kann die Polizei nicht mehr viel machen. Mit polizeilichen Maßnahmen allein können wir die Drogenkriminalität nie in den Griff bekommen.

Mehr als zwanzig Jahre Repression gegen die Drogenszene konnten nicht verhindern, daß die Zahl der Abhängigen und Toten immer weiter steigt. Ist jetzt nicht radikales Umdenken nötig, über eine Entkriminalisierung der harten Drogen und eine staatlich kontrollierte Ausgabe von Heroin an Abhängige?

Ich halte diese Ansichten und Forderungen für verantwortungslos, denn Sie beseitigen durch eine Entkriminalisierung ja nicht das Phänomen der Abhängigkeit, sondern sanktionieren es sogar.

Viele derer, die an Heroin sterben, sterben nicht am Heroin selbst, sondern weil sie den Wirkstoffgehalt nicht kennen und sich deshalb eine Überdosis setzen oder weil sie Stoff erwischen, der mit anderen tödlichen Giften gepantscht ist.

Dieser Ansatz wird ja in verschiedenen Modellen bereits verfolgt, zum Beispiel bei der staatlich kontrollierten Abgabe von Methadon. Aber dies gilt nur für die sozial verelendeten Drogenkonsumenten und ist für diese durchaus hilfreich. Die deutsche Ärztegemeinschaft hat gerade wieder erklärt, daß dies ein Weg ist, um denen, die gewissermaßen schon in der Gosse liegen, zu helfen. Aber dies ist nur eine Minderheit der Abhängigen, und eine staatlich kontrollierte Abgabe von Drogen oder Ersatzdrogen wie Methadon an alle anderen wäre fatal.

Sie versuchen seit Jahren wie Sisyphus mit polizeilichen Mitteln den Handel und Konsum harter Drogen zu bekämpfen, die Erfolge sind bekannt. Wie schaffen Sie und ihre Kollegen es, nicht in Resignation zu verfallen?

Sie müssen doch nur einmal auf eine der offenen Drogenszenen in den Großstädten gehen, die Augen aufmachen und dieses Menschenmaterial betrachten, das dort dank der harten Drogen vor sich hinvegetiert. Dieses unwürdige Dasein ist für mich und viele meiner Kollegen Motivation genug, uns zu sagen, daß wir das nicht zulassen können. Es ist unser Job, dafür zu sorgen, daß es nicht so weit kommt. Interview: Michael Sontheimer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen