IN SARAJEVO HÄLT BOSNISCHER KAFFEE IMMER NOCH DER KONKURRENZ DURCH LATTE MACCHIATO STAND : Wenn dicker, süßer Sud aus braunen Bohnen die Zunge löst
VON ERICH RATHFELDER
Für ausländische Besucher Sarajevos ist es chic, sich in einer der zahlreichen Café-Bars der Altstadt bosnischen Kaffee zu bestellen. Die braune Flüssigkeit wird in kleinen Kupferkannen gereicht. Man gießt nun den dicken Sud in winzige Tässchen, nimmt kräftig Zucker und isst dazu eine Süßigkeit.
Dann sitzt man stundenlang gemütlich auf einem der Sofas und nippt manchmal an dem Getränk. Man unterhält sich, schaut gemächlich dem orientalisch anmutenden Treiben in den engen Gässchen zu und spürt ein wenig der Atmosphäre nach, als Bosnien noch Teil des türkisch- osmanischen Reichs war, als das Leben noch ohne Hast gemächlich vor sich ging.
Wer aber hier lebt, hat kaum noch Zeit für diese Romantik. Selbst viele Bosnier sind abtrünnig geworden. Vor allem junge Leute trinken in den modernen Bars mit WLAN-Zugang Nescafé, Cappuccino oder Latte macchiato, klimpern an den Computern herum und telefonieren in alle Welt. Der schnelle Drink an der Ecke ist in, die seit Jahrhunderten zelebrierte Kaffeezeremonie out. Auch wegen der Gesundheit. „Der heimische Kaffee greift die Magenschleimhaut an, ich kann ihn nicht mehr trinken“, sagen viele.
Um so überraschender ist es, bei Besprechungen den traditionellen Kaffee serviert zu bekommen. Selbst in dem trutzigen Gebäude des Fernsehens unter den sonst schnelllebigen Journalisten ist die alte Sitte noch lebendig. Die für eine Filmproduktion wichtigen Leute setzen sich bei Verhandlungen über den Zeitplan erst einmal gemütlich hin. Sie nehmen sich die Zeit. Die Höflichkeit gebietet es, zunächst über sich selbst zu sprechen. So erfährt der Besucher etwas über den Partner und die Kinder, den Herkunftsort, die Tradition der Familie, über die Erfahrungen dieser Menschen im Krieg. Man analysiert die politische Lage, gibt sogar Meinungen zu Politikern und Parteien preis. So wird der Besucher in ein Gespräch verwickelt und das so lange, bis er selbst zu erzählen anfängt.
Während der zweiten Runde beim heimischen Kaffee möchten die Beteiligten mehr über die familiären Hintergründe des Fremden wissen, über seine persönliche Geschichte, über politische Ansichten und Haltungen. Noch ist kein Wort über das gemeinsame Projekt gefallen. Erst wenn man gemeinsam lacht und sich gegenseitig Sympathie bekundet, geht alles sehr schnell. Arbeitstermine werden anberaumt, Entscheidungen gefällt. Der traditionelle Kaffee, der Bosanska Kafa, hat in Sarajevo doch noch nicht ausgedient.