IN DER UNSICHT-BAR AUF SIE UND DU: Verführung im Dunkeln
■ Der fünfte Deutsche Kommunikationstag in Berlin
„Uschi, bist du das? Ich bin der Günther, und wer bist du?“, ruft eine Stimme neben mir, während die dazugehörigen Finger an meiner Lederjacke herumnesteln. Doch ich komme gar nicht dazu, mein Nicht-Uschi-Sein detailliert zu erläutern, denn das weibliche Stimmorgan zu meiner Linken lamentiert lautstark: „Gibt's denn hier nichts zu trinken, was gibt's denn hier überhaupt? Hallo, Bedienung! Wer sind Sie denn? Ach, du bist's, Renate.“
Die da so entriegelt die heilige Stätte des bewußten Trinkers, den Ort stiller, hochprozentiger Einkehr und Meditation, eben die Bar, mit ihrem Geschnatter schänden, sie sind nicht etwa betrunken. Nein, sie stehen einfach nur im Dunkeln, in der totalen Finsternis.
Es sind Gäste in der „Unsicht- Bar“, einer Installation der Stiftung Blindenanstalt Frankfurt, mit der diese durch die Lande tourt, um Sehenden das Blindsein näherzubringen. Und eingedenk der schönen Einsicht: Wenn wir schon nicht durchblicken, sollten wir wenigstens kommunizieren, ist diese Bar — in der man sogar zwischen Orangensaft, Sekt und Pina Collada wählen kann, sofern man, qua Tastschnur, den Tresen gefunden hat — auf dem fünften Deutschen Kommunikationstag im Berliner Congress Centrum aufgebaut.
Dort treffen sich dieser Tage 2.000 VertreterInnen der soliden Verführungsindustrie — von der Werbeagentur bis zum Zeitungsverlag —, um gemeinsam zu rätseln, wie sie die Kommunikation, sprich: die Waren, besser an Ost- Frau und -Mann bringen können. Und — liest man die Tagungsthemen — die Branche steht offensichtlich mit der Frage „Welche Kommunikationsstrategien bescheren uns den inzwischen schon berüchtigten Aufschwung?“ im Dunkeln. Mit vernetztem Denken sollen globale Trends analysiert, Mentalitätszonen ebenso erfolgreich wie kürzlich die Grenzen wegkommuniziert werden — zur Not mit Hilfe des Apfelmännchens im besonderen oder der Chaosforschung im allgemeinen.
Konsequenterweise wird dann über Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Islam parliert, denn der ist ein Marktsegment von 33 Prozent Erdbevölkerung.
Da wir neugierig sind, wie die VertreterInnen der Produktivkraft Kommunikation die dräuenden Probleme innerhalb und außerhalb der Unsicht-Bar in Struktur reden, und ein Normal-Interessierter die 950 DM Eintrittsgeld wohl kaum aufbringen mag, werden wir am Montag ausführlicher berichten. Peter Blie
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