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Archiv-Artikel

IN DEN REGALEN VOR DER SUPERMARKTKASSE LASSEN DIE LEUTE LIEGEN, WAS SIE NICHT BEZAHLEN WOLLEN Bleibt da

Roger Repplinger

In den meisten Supermärkten gibt es vor den Kassen Grabbelregale, die uns beim Warten anmachen sollen. Meist voller Süßigkeiten: Kaugummi, Riegel, Gummibärchen. Aber die Leute sind nicht doof, die rechnen, und legen – statt was zu kaufen – in diese Regale das, was sie, nach reiflicher Prüfung, doch nicht bezahlen wollen. An einem Donnerstag, bei Penny in der Hamburger Straße, in diesem Regal: Nudeln, Schokolade, Farbstifte für die Schule.

Wahrscheinlich Barzahler, die merken, dass die Kohle nicht reicht. Müssen gut Kopfrechnen und dann entscheiden, was wichtiger ist. Oder Kartenzahler, die das Limit des Dispos erreichen. Auch die müssen rechnen. Auf den Waren steht das Wort „Panik“. Vielleicht auch Eltern, die an der Kasse merken, dass der Kleine, der im Einkaufswagen saß, etwas gegriffen hat, was nicht mit soll: „Du hast doch schon so viele Farbstifte Yannick.“ Und dann – Gebrüll.

Lidl hat im Regal vor den Kassen Zigaretten, die, wie gefährliche Tiere im Zoo, durch einen Käfig von den Menschen getrennt sind. Kann man nichts reinlegen. Das soll die Kunden zwingen, das zu kaufen, was sie im Wagen oder Korb haben.

Doch der Kunde ist verzweifelter, als Lidl schlau. Er legt die Sachen, von denen er sich trennt, bevor sie ihn ins Unglück stürzen, ins Fach, in dem die Plastiktüten liegen. An einem Mittwoch lagen bei Lidl am Winterhuder Weg auf den Tüten: drei Semmeln, kosten keine fünfzig Cent, eine tiefgekühlte Pizza, eine Flasche Apfelschorle. Da werden die Kriterien deutlich, wenn es hart auf hart geht. Es gibt Dinge, ohne die es nicht geht. Und Dinge, ohne die es geht.

Es ist nicht einfach, die Sachen vom Einkaufswagen in dieses Regal zu kriegen. Soll schwierig sein. Ist immer noch weniger peinlich, als an der Kasse zu stehen, die Kohle reicht nicht, und dann eine Auswahl zu treffen, unter den Augen der Kassiererin, während sie dir von hinten ihren Einkaufswagen in die Hacken schieben. In die Lage will keiner kommen. Gilt als peinlich.

Zwischen den Weinflaschen bei Netto in der Kanalstraße: eine Tüte Studentenfutter. Zwischen dem runter gesetzten Shampoo: Kekse. Bei Lidl zwischen den Klamotten: Reiswaffeln. Alkohol bleibt selten da.

In der Obstabteilung handverlesene Erdbeeren, schon in der Plastiktüte, die dann doch verschmäht werden. Kirschen auch. Vielleicht sagte Er: „Ne, lass mal stecken.“ Oder Sie: „Bekomm’ ich immer Blähungen von.“ Und dann bleiben die da.

Von all diesen Dingen geht eine gewisse Tendenz aus, sie zu kaufen. Weil sie doch schon mal fast gekauft wurden. Da hat was angefangen, ist aber nicht zu Ende gebracht worden. Eine Handlung, die in der Luft hängt. Unvollendet.

Manchmal ist eine gewisse Subversivität da. Da liegen Sachen in den Tiefkühlboxen, die da nicht hingehören. Und Sachen aus den Tiefkühlboxen stehen zwischen den Würstchen-Konserven. Da bringen die Kunden zum Ausdruck, wie sehr sie die Supermärkte dafür hassen, dass sie uns in Situationen bringen, in denen wir spüren, was der Kapitalismus aus uns macht.