IM WARTEZIMMER : Amtshilfe
Schon wieder beim Arzt. Der Winter ist hart, und die Viren sind zahlreich, die unsere Virenschleuder aus der Kita mit nach Hause schleppt und fürsorglich an mich weitergibt. Könnte die Virenschleuder sprechen, würde sie vermutlich sagen: „Hier, Vater, noch ein besonders hartnäckiges und resistentes Virus. Das wird dich bestimmt umhauen.“ Und meistens hätte sie damit auch recht.
Eine zerzauste Frau kommt ins Wartezimmer und setzt sich neben mich. Sie zieht einen kleinen Jungen hinter sich her und aus ihrer Tasche einen Brief, reißt ihn auf, gibt ihn mir und sagt: „Hier du lesen. Was da stehen?“ Dabei knufft sie mich in die Seite, als ich das Papier etwas zögerlich in die Hand nehme. Dies ist ein Befehl. Widerstand zwecklos.
Es handelt sich um ein offizielles Schreiben vom Amt. Das Amt schreibt, dass die Frau 30 Tage in Erzwingungshaft zu gehen habe. „Sie müssen ins Gefängnis“, sage ich konsterniert. „Gefängnis? Welches Kind?“ „Wie viele haben Sie denn?“ „Vier.“ „Nein, Sie müssen ins Gefängnis“, sage ich. „Ach so“, sagt sie und zuckt gleichgültig die Schultern. „Ist alles?“ „Ist das nicht schlimm genug?“ „Nicht schlimm“, sagt sie. „Was noch da stehen?“ „Na ja, Sie haben sich geweigert, Ihre Kinder in die Schule zu schicken, deshalb sollen Sie ins Gefängnis“, sage ich.
Statt angemessen verzweifelt zu sein, sagt sie wegwerfend „jaja“ und gibt mir einen weiteren Wisch, ebenfalls vom Amt. Ich fasse das Bürokratendeutsch zusammen. „Sie müssen aus Ihrer Wohnung raus, weil sie zu groß ist“, teile ich ihr die weitere Katastrophenmeldung mit. „Egal, nehme ich kleine“, sagt sie. „Hier steht noch, Sie kriegen 700 Euro Wohngeld“, sage ich. „700? Ist sicher?“, fragt sie. „Ja, das steht hier“, sage ich. Sie stopft die Briefe wieder in die Handtasche, steht auf und geht. So geht’s natürlich auch, denke ich.
KLAUS BITTERMANN