IM DEUTSCHEN POP HERRSCHT SEIT LANGEM DIE ZEIT DER NATIONALEN ENTKRAMPFUNG – UND XAVIER NAIDOO STIMMT SELBSTVERSTÄNDLICH EIN : Neue deutsche Härte
SONJA VOGEL
Beinahe hatten wir sie schon vergessen. Dann trafen sie vergangene Woche in der Vox-Sendung „Sing meinen Song“ aufeinander: zwei seltsame Titanen des Deutschpops. Die traurige Männercombo „Die Prinzen“ und der Soul-Barde Xavier Naidoo. Giganten sind die mittlerweile vor allem der Peinlichkeit. Die Sendung war schon Anfang des Jahres entstanden, wenige Monat nach Naidoos Auftritt vor den „Reichsbürgern“, seiner wirren Rede von der 9/11-Verschwörung und der „amerikanischen Besatzung“ Deutschlands. Aber egal. Naidoo blieb bei Vox das beste Pferd im Stall. Der Mann für die rechte Quote.
Naidoo interpretierte selbstverständlich „Deutschland“ von den Prinzen. Die Prinzen, die so brutal auf Lustig getrimmt sind, nehmen für sich in Anspruch, dass sie Zeilen wie „Seht es endlich ein: Wir können stolz auf Deutschland sein“ witzig gemeint haben. Naidoo aber sang das Deutschlandlied ganz anders, ohne Zwischentöne. Mit Gänsehautfaktor.
Das hat die Prinzen eventuell verwirrt. Seit der Pop vom gesellschaftlichen Rand in die neue Mitte kam, sind Pop und „deutsch“ kein Widerspruch mehr. In den Neunzigern begann dessen Reterritorialisierung, eine Vereinheitlichung, die Ambivalenzen, das Zelebrieren des Fremdelns (die Fehlfarben umschrieben das so: „Du sprichst fremde Sprachen im eignen Land“) durch ein „Wir“ ersetzten.
Naidoo ist übrigens nicht der Erste, der die den Prinzen eigene Sprache der Entkrampfung verstanden hat. Die „Deutschland-Saga“, die Wohlfühlvariante der spröden History-Formate von Guido Knopp, beginnt mit „Deutschland“ von den Prinzen – ein flotter Elektromix. Der Historiker Christopher Clark ist das lockere Gegenmodell zur Knopp’schen Engführung, die Rainald Grebe besang: „Hitlers Helfer, Hitlers Frauen / Hitlers letzte Sekretärin / Hitlers Hund trifft am Gartenzaun / Hitlers Kieferorthopädin.“
Die Prinzen-Zeile „Das alles ist Deutschland / Das alles sind wir / Wir leben und wir sterben hier“ jedenfalls erinnert mich an „Wir sind wir (Ein Deutschlandlied)“ von Paul van Dyk und Peter Heppner. „Wir sind wir / Wir stehen hier / So schnell kriegt man uns nicht klein“ heißt es da, Text wie Video ganz Knopp’sche Dokukunst: Berlin in Trümmern, Reichstag in Flammen, einbeiniger Wehrmachtssoldat. Der Song soll ursprünglich für Knopps „Wunder von Bern“ geschrieben worden sein.
MittwochMartin ReichertErwachsen
DonnerstagRené HamannUnter Schmerzen
FreitagMichael BrakeKreaturen
MontagCigdem AkyolDown
DienstagDoris AkrapEben
Heppner übrigens ist jener Synthiepop-Sänger, der auch in Joachim Witts „Die Flut“ sang. Das Video zeigt ein absurdes Panoptikum behinderter Menschen, zum Sterben auserwählt – Sound der Eugenik, einer, der Überfremdungsängste inszeniert und Survival of the Fittest. Ein etwas anderer Sommerhit, Neue deutsche Härte eben. Das Duo leitete die Zeit der nationalen Entkrampfung ein.
Das ist bald 20 Jahre her. Und heute? Da laden die Prinzen, vielleicht zur Versöhnung, Naidoo als Gastsänger auf ihr Konzert nach Leipzig ein, wo sie sich gegen Nazis engagieren. Ganz entspannt. Ob er dafür sein „Freiheit für Deutschland“-T-Shirt anzieht? Gemeinsam schließlich sind sie wieder wer.