ILIESCUS HOLOCAUST-ENTGLEISUNG: DIE EU VERHÄLT SICH FAHRLÄSSIG : Verpasste Gelegenheit
Der amerikanische Botschafter in Bukarest fand wenigstens lakonische Worte für Ion Iliescus Rumänien: Ein Land, das sich seiner Vergangenheit nicht stelle, könne auch nicht in die Zukunft blicken. Damit beschreibt er ein Dilemma der rumänischen postkommunistischen Politikerelite: Zwar bemüht sich die Bukarester Führung, den Westen von ihrer EU-Tauglichkeit zu überzeugen. Doch eine kritische Auseinandersetzung mit Rumäniens Vergangenheit und der Rolle, die das militärfaschistische Antonescu-Regime während des Zweiten Weltkrieges gespielt hat, findet nicht statt.
Dass unter diesem Regime Ghettos und Konzentrationslager errichtet wurden, in denen 410.000 Juden umkamen, wird häufig relativiert oder einfach geleugnet. Iliescu hat mit seinen umstrittenen Erklärungen lediglich eine in Rumänien weit verbreitete Meinung zum Ausdruck gebracht. Er hat das gesagt, was viele denken, und konnte sich dafür des Beifalls eingestandener Holocaust-Leugner sicher sein. Iliescus umstrittene Erklärungen sind eine Bestätigung für die prekäre Lage, in der sich die politische Kultur Rumäniens befindet. Die Flut von aufgeregten Dementis, diplomatischen Rechtfertigungen und demokratischen Bekenntnissen, die Bukarest nun in alle Windrichtungen aussendet, um die Entgleisungen des Präsidenten zu entschärfen, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass etwas faul ist in Rumänien.
Anders als dem amerikanischen Botschafter war der EU das bislang keinen Kommentar wert: Dabei hätte der Ratsvorsitzende für die Regierung des künftigen EU-Mitgliedslandes deutliche Worte finden müssen. Verwunderlich ist es nicht, dass der Vorsitzende Silvio Berlusconi sich nicht rührte – schließlich duldet er in seinem eigenen Kabinett Mitglieder mit ähnlicher Geisteshaltung. Schädlich bleibt es. Die Union hat einen günstigen Augenblick verpasst, der rumänischen Regierung klar zu machen, dass diese das Land nicht nur in einen Wirtschaftsraum führt, sondern auch in eine Wertegemeinschaft. Es reicht nicht, wenn der EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen das immer nur hinter den Kulissen tut. WILLIAM TOTOK