: I N T E R V I E W „Die Massen sind nicht für das Plebiszit“
■ Carlos Torres, Mitglied der nationalen Leitung der chilenischen Guerillabewegung „Frente Patriotica Manuel Rodriguez“, zur Neuorientierung der Oppositionsparteien
Vor vier Jahren formierte sich in Chile nicht nur eine Massenbewegung gegen die Diktatur, sondern auch eine neue Guerilla, die „Frente Patriotico Manuel Rodriguez“ (FPMR). Sie ist heute die bedeutendste Untergrundorganisation des Landes. Ihre bekannteste Aktion: das nur knapp fehlgeschlagene Attentat gegen General Pinochet im September 1986. Am 1.September dieses Jahres entführte sie Oberst Carreno. Carlos Torres, der im chilenischen Untergrund lebt, war kürzlich in der Bundesrepublik. taz: In Chile schwindet die Hoffnung, über Massenmobilisierung die Diktatur zu stürzen. Selbst die Kommunistische Partei ruft inzwischen ihre Sympathisanten dazu auf, sich in die Wahlregister einzutragen. Hat die Frente Patriotico Manuel Rodriguez aus dieser Entwicklung Konsequenzen gezogen? Carlos Torres: Zunächst glaube ich, das chilenische Volk hat große Hoffnung auf eine tiefgreifende Veränderung. Diese 14 Jahre Diktatur haben uns überzeugt, daß sie nicht freiwillig abdankt. Die Diktatur hält sich im wesentlichen mit militärischen Mitteln an der Macht. Die Form des Kampfes gegen sie muß dies berücksichtigen. Die politischen Formen allein reichen also nicht aus, um dem Militarismus und dem Terrorismus der Diktatur zu begegnen. Um sie zu stürzen, muß der politische Kampf durch den militärischen ergänzt werden. Wenn heute von einem Abflauen der Volksbewegung die Rede ist, so ist das unseres Erachtens eher von den Führungen der Parteien verursacht. Das hat nichts mit den Gefühlen der Massen zu tun, die weiter kämpfen, um die Diktatur zu stürzen. Der Bewohner des Armenviertels, der 14 Jahre lang Hunger gelitten hat und arbeitslos war, weiß, daß die Wahlen und das Plebiszit das Problem des Überlebens - das Drama, das also 80 Prozent der Chilenen betrifft - nicht lösen. Diese Massen sind nicht für die Durchführung eines Plebiszits. Wenn man nun die Durchführung eines Plebiszits, an dem sich vermutlich eine Mehrheit der volljährigen Chilenen beteiligen wird, nicht verhindern kann, soll man denn nicht wenigstens daraufhinarbeiten, daß eine Mehrheit sich gegen den von der Diktatur vorgeschlagenen Kandidaten ausspricht? So denken die Führungen der politischen Parteien in Chile. Aber da machen sie einen Fehler. Sie akzeptieren damit die Formen von Opposition, die die Diktatur will und die deren Macht nicht infragestellen. All diese Parteien haben große Probleme mit ihrer Basis, mit ihrer Jugendsektion. Es gibt Widerstand gegen die Einschreibung in die Wahlregister und gegen die Führung. Die FPMR hat am 1.September den Oberst Carreno entführt und hält ihn immer noch gefangen. Viele Parteien, die Kirche und auch die Vereinigung der Angehörigen von Gefangenen und Verschwundenen Lateinamerikas, ja sogar die Witwen von drei ermordeten Kommunisten verlangen seine Freilassung. Zweifellos vergessen die Menschen vieles, wenn die Jahre vergehen. In Chile gab es Tausende von Entführungen, Tausende von Ermordeten. Wenn wir Carreno 1975 entführt hätten, hätten wir nicht diese Reaktion erlebt wie heute. Wir glauben nicht, daß die Mehrheit der Leute der Meinung ist, daß unsere Aktionen gegen die Diktatur die Repression auf den Plan rufen. Das ist falsch. Die Organisierung der revolutionären Kräfte des Volkes allein verhindert, daß die Repression nicht noch weiter um sich greift. In der Öffentlichkeit wird die FPMR ja immer als bewaffneter Arm der KP hingestellt. Wir sind nicht der bewaffnete Arm irgendeiner Partei, sondern der militärische Bezugspunkt des Volkes. Wir werden nicht vergessen, daß Allende am 11.September 1973, (dem Tag des Putsches) kämpfend im Präsidentenpalast ausgeharrt hat. Er hat uns damit gesagt, was wir zu tun haben. Das Beispiel des kämpfenden Allende wird oft vergessen.
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