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Homosexualität ist heilbar

■ Reaktionäre Sex-Konferenz: Schwule sind „so“ wegen stoffwechselstörendem Streß im Mutterleib

Berlin. Dein Hormon, das unbekannte Wesen. Mit reaktionären Thesen zur Homosexualität gehen seit Dienstag 140 Wissenschaftler aus aller Herren-Länder unter Kollegen und in der Boulevardpresse hausieren. Für die Teilnehmer der „3. Internationalen Konferenz für Sexualwissenschaft“, die noch bis Sonntag in der Ostberliner Charite und im Reichstag (!) tagt, ist die Sache klar (und abschaff-/ heilbar): Homosexualität ist angeboren und beruht auf einer Veränderung des Hormonspiegels während des Aufenthalts im Mutterleib - ausgelöst durch „zu viel Streß“ bei der Schwangeren.

Eine Stoffwechselstörung also, ganz natürlich, wie der Ost -Endokrinologe Professor Günter Dörner in Versuchen mit Mäusen (!) nachgewiesen haben will. Doch der Hormonist Dörner, sein gleichgesinnter West-Mitstreiter E.J. Haeberle und die vielen anderen ange(g)reisten Sexologen haben noch weitere Theorien auf Lager. Nicht nur „Erbfaktoren“, sondern auch die „Umwelt“ und „Erziehungseinflüsse“ sollen der gleichgeschlechtlichen Abweichung förderlich sein. Die umstrittene These der Hormon- und Drüsenforscher, daß Männer mit zu wenig männlichen Hormonen (Androgenen) und Frauen mit zu vielen homosexuell werden, soll die Abschaffung von Homosexualität ermöglichen, auch wenn sich die Wissenschaftler noch so liberal äußern. Dörner: „Eine natürliche Variante, die aus dem Bereich der Kriminalität herauskommen muß.“

Eine medizinische Anwendung ihrer Erkenntnisse - so die Wissenschaftler auf dem Kongreß - werde „noch nicht gesehen“, das „Wegspritzen“ durch Hormongabe sei möglich, „aber kulturell nicht wünschenswert“. Warum dann überhaupt in den Drüsen herumforschen ? Wo bleibt der akribische Wissensdurst, um die bislang ungeklärten Ursachen für die weitverbreitete und vermeintlich unvermeidbare Heterosexualität zu ergründen?

Positiv anzumerken am Kongreß ist immerhin, daß sich die Herren für eine Streichung der Homosexualität aus der Krankheitsliste der Weltgesundheitsorganisation WHO und die Übernahme des liberalen DDR-Sexualstrafrechts (Streichung des Paragraphen 175) für Gesamtdeutschland einsetzen.

kotte

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