Homophobie: "Das hat nichts mit Religion zu tun"
Muslimischen Milieus wird nachgesagt, das Thema der gleichgeschlechtlichen Liebe unter den Teppich zu kehren. Ein bloßes Vorurteil? Die beiden deutschtürkischen Homosexuellen Melinda und Metin erzählen, wie sie ihre Prägung entdeckten, wie sie begannen, die Lüge zu hassen und was daraus für sie folgte.
Seit zwei Jahren ist Melinda* in einer festen Partnerschaft und glücklich. Deshalb möchte sie heiraten, und es soll eine traditionell türkische Hochzeit werden - in Weiß, mit einem Henna-Abend und vielen Gästen. Eigentlich kein außergewöhnlicher Wunsch für eine 29-jährige Deutschtürkin. Doch so einfach, wie bei anderen türkischstämmigen Frauen, ist es nicht, denn Melinda ist homosexuell. Seitdem sie 17 ist, weiß sie, dass sie lesbisch ist. "Damals habe ich mich ganz einfach in eine Frau verliebt", sagt Melinda. "Ich habe wirklich lange gebraucht, um rauszukriegen, was eigentlich mit mir passiert, denn davor hatte ich auch einen Freund."
Melinda unterscheidet sich nicht nur in ihrer Sexualität von anderen muslimischen Frauen. Bereits mit 17 zog sie aus dem Elternhaus in eine eigene Wohnung, um auf eigenen Füßen zu stehen. Außerdem konnte sie so ihre Homosexualität besser vor ihren Eltern und Geschwistern geheim halten. Das Outing bei ihrer Familie kam trotzdem - zuerst bei ihren zwei Schwestern: "Ich hatte Schwierigkeiten mit meiner großen Schwester, sie kam damit nicht klar." Mittlerweile gingen sie damit aber ganz normal um. Auch Melindas älterer Bruder weiß Bescheid. Darüber gesprochen werde aber nicht.
Vor einem Jahr ist Melinda mit ihrer Freundin in die erste gemeinsame Wohnung gezogen, das war auch die Zeitpunkt, zu dem sie sich bei ihrer Mutter outete. Es war kurz vor der Hochzeit ihrer Schwester und sie war alleine mit ihrer Mutter zuhause. "Sie hat mir gezeigt, was mein Vater für den Henna-Abend und die Hochzeit meiner Schwester besorgt hat, und auf einmal kamen Emotionen in mir hoch, weil ich gedacht habe, dass es bei mir nicht so sein wird, obwohl es mein Wunsch ist, so zu heiraten", erzählt sie. Als ihre Mutter sie weinen sah, wollte sie wissen was los war. Melinda erzählte ihr von ihrem Wunsch, und dass sie nicht glaube, er würde jemals in Erfüllung gehen. "Meine Mutter hat das zuerst nicht ganz verstanden und wenig später habe ich ihr dann gesagt, dass ich auf Frauen stehe." Ihre Mutter sagte zu Melinda daraufhin, sie solle gehen. "Bevor ich die Wohnung verließ, meinte sie noch, ich solle erst gesund werden und dann wiederkommen."
Die Funkstille zwischen Melinda und ihrer Mutter hielt allerdings nur einen Monat an, bis ihre Mutter kam und sich bei ihr entschuldigte. "Sie meinte, egal was ist, du bist mein Kind." Seitdem akzeptiert die Familie ihre Freundin. Heute geht Melinda offen mit ihrer Sexualität um und legt nicht mehr viel Wert auf die Meinung der anderen. Sie sagt: "Es ist mir egal, was die Leute über mich denken, denn im Endeffekt bin ich als Person gleich geblieben."
Melinda weiß, dass sie Glück hatte mit ihrer Familie. Ihre Mutter bezeichnet ihre Freundin Daniela* schon als vierte Tochter. Und weil Daniela maskulin aussieht, macht Melindas Vater aus Daniela einfach Daniel. Zur Hochzeit ihrer Schwester ging Melinda sogar in Begleitung ihrer Freundin. "Meine Familie hat sie gut aufgenommen, dafür habe ich auch gekämpft", sagt sie. "Es war zwar ein langer, harter Weg, aber es hat sich definitiv gelohnt." Sie weiß, dass es auch Familien gibt, die nicht so offen mit der Homosexualität des eigenen Kindes umgehen. Das Vorurteil, Muslime täten sich besonders schwer mit der Homosexualität, teilt sie aber nicht. "Mit Religion", sagt sie, "hat das nichts zu tun. Ich habe es selbst mit meiner Freundin erlebt. Im Gegensatz zu meiner Familie hat ihre viel länger gebraucht, um das zu akzeptieren, obwohl sie Christen sind."
Anders als Melinda geht Metin* nicht so offen mit seiner Sexualität um. Der 30-Jährige ist ebenfalls Deutschtürke und homosexuell. Die gängigen Klischees, erfüllt er aber nicht - er verhält sich nicht weiblich, seine Kleidung ist nicht eng anliegend und er spricht nicht durch die Nase. Metin ist von einem Heteromann nicht zu unterscheiden. Auch er hat lange gebraucht, bis er sich eingestehen konnte, dass er schwul ist. "Ich wollte es nicht wahrhaben, weil ich mir immer gesagt habe, ich kann doch nicht so anormal sein", sagt er.
Dass er homosexuell ist, weiß Metin schon seit der Pubertät. Das erste Outing kam aber erst mit 24, bei der Mutter eines Freundes, einer Iranerin, die in einem Frauenhaus arbeitete. "Ich habe immer überlegt, ob ich mit ihr reden soll oder nicht. Es hat Jahre gedauert", sagt er. "Als ich es ihr dann doch erzählte, bin ich in Tränen ausgebrochen. Ich hatte das Gefühl, dass mir ein Stein vom Herzen gefallen ist." Offen mit seiner Sexualität umzugehen, half Metin auch aus einer schweren Lebensphase heraus, denn in der Zeit davor plagten ihn sogar Selbstmordgedanken: "Ich habe mich immer mehr und mehr in die Enge gedrückt gefühlt und irgendwann kam es mir vor wie eine Einbahnstraße."
Vor sechs Monaten beendete Metin eine fünfjährige Beziehung mit einem Mann und seitdem versucht er, sich nicht mehr auf die Liebe zu konzentrieren. "Es geht mir dadurch nicht schlechter. Ich bin eigentlich so zufrieden, weil ich nicht mehr lügen muss", erzählt er. Die Beziehung mit seinem damaligen Freund lief ganz gut, aber er wollte kein Doppelleben mehr führen. Metin lebt bei seinen Eltern, deshalb erzählte er immer, er gehe zu einer Freundin. Doch die Lügen haben ihn irgendwann genervt: "Es macht einen einfach krank. Irgendwann entwickelt man auch in Alltagssituationen eine gute Strategie zum Lügen." Deshalb entschied er sich gegen die Liebe. Seinen Eltern hat er bis heute nichts gesagt und daran möchte er auch nichts ändern. "Ich glaube schon, dass meine Mutter es ahnt, aber sie macht es nicht zum Thema", sagt er. Seine Geschwister, einen Cousin und eine Cousine hat er eingeweiht, und sie haben kein Problem damit.
Homosexuell zu sein, belastet Metin sehr. "Ich wünsche mir manchmal einfach hetero zu sein, weil dann vieles einfacher wäre", sagt er. Er steht nicht richtig dazu, und das ist auch der Grund, weshalb er seinen Eltern nichts erzählen möchte. Religion spielte in seiner Erziehung zwar keine große Rolle, aber seit Kurzem ist sein Glaube ein wichtiger Pfeiler in seinem Leben geworden. Das wiederum führt dazu, dass er seine Sexualität nicht ausleben will: "Ich empfinde es nicht als richtig, aber ich weiß, dass ich es in mir habe. Es ist ein komischer Teufelskreis." Mittlerweile erzählt Metin fast niemandem mehr, dass er homosexuell ist. Als er sich einmal bei drei Freunden outete, wollten diese nichts mehr mit ihm zu tun haben. "Das hat mich einfach fertig gemacht", sagt er. "Früher dachte ich immer, es wäre wichtig, das den Leuten zu erzählen, aber jetzt nicht mehr."
Metin fragt sich oft, wohin die Wege ihn führen werden und wie die Zukunft aussehen wird. "Aber in letzter Zeit will ich mir keine Gedanken mehr machen, sondern einfach in den Tag hinein leben", sagt er. Einen Mann zu heiraten, kommt für ihn nicht infrage, Kinder wünscht er sich hingegen gerne: "Ich liebe Kinder, aber vielleicht wird es auch einfach nur ein Traum bleiben."
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