Hochburg der Kurzarbeit: Wundermittel bei der Arbeit
Wie ist die Stimmung in den Betrieben, die Kurzarbeit angemeldet haben? Herrscht Angst vor Entlassungen oder überwiegt Zuversicht, dass Kurzarbeit ein probates Mittel für die Krise ist?
Das Konjunkturpaket II sieht unter anderem vor, dass der Eingangssatz für die Einkommensteuer gesenkt und der sogenannte Grundfreibetrag erhöht wird. Die Steuerentlastungen sollen rückwirkend zum 1. Januar kommen.
Für jedes Kind gibt es zudem in diesem Jahr 100 Euro Bonus. Der Hartz-IV-Satz für Schulkinder steigt um 35 Euro pro Monat. Der Krankenkassenbeitrag sinkt um 0,6 Prozent, wovon zur Hälfte die Arbeitgeber, zur Hälfte die Arbeitnehmer profitieren. Die Bundesarbeitsagentur übernimmt bis 2010 die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge für Kurzarbeiter, bei Qualifizierung sogar den ganzen Anteil. Wer ein neun Jahre altes Fahrzeug abmeldet und sich dafür einen Neu- oder Jahreswagen kauft, erhält eine Prämie von 2 500 Euro. Künftig werden Autos nicht mehr nach Hubraum besteuert, sondern nach ihrem CO2-Ausstoß.
Es gibt ein öffentliches Investitionsprogramm in einem Volumen von rund 17,3 Milliarden Euro für Schulen, Krankenhäuser und andere Infrastrukturmaßnahmen.
Für die Wirtschaft wird ein Bürgschaftsvolumen von 100 Milliarden Euro bereitgestellt. Das gesamte Konjunkturpaket hat ein Volumen von 50 Milliarden Euro, allerdings verteilt auf zwei Jahre. BD
STUTTGART taz Satte 60 Prozent aller baden-württembergischen Betriebe der Metall- und Elektroindustrie haben, wie die IG Metall in einer Umfrage herausgefunden haben will, bereits auf Kurzarbeit umgestellt oder haben dies vor. Die Hochburg der Kurzarbeit ist die Landeshauptstadt Stuttgart: Im Dezember und Januar wurden hier fast 50.000 Menschen zur Kurzarbeit gemeldet - jeder zehnte Arbeitnehmer und anteilig mehr als in jedem anderen der 176 Bezirke der Bundesagentur für Arbeit.
Besonders stark betroffen ist die Autoindustrie: Seit Mitte Januar ist die Produktion bei Daimler in Untertürkheim gedrosselt. Diese Woche kündigte der Motorenzulieferer Mahle, der im vorigen Jahr noch knapp über 5 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftete, Kurzarbeit an einzelnen Standorten an. Und nun trifft es Bosch, den größten deutschen Autozulieferer. Im Betrieb Stuttgart-Feuerbach, in dem 12.500 Menschen arbeiten, wird derzeit über Kurzarbeit für einzelne Produktionslinien verhandelt, berichtet der Betriebsrat.
Ob er Angst vor Arbeitslosigkeit hat? "Nein, absolut nicht", antwortet ein Bosch-Arbeiter, der in der Produktion von Common-Rail-Pumpen für Dieselmotoren arbeitet, mit Bestimmtheit. Er glaube "zu 150 Prozent" den Versprechen der Geschäftsführung, dass man die Krise in Deutschland ohne Entlassungen überstehen werde.
Seit Anfang dieses Monats "schafft" der Arbeiter statt 35 Stunden pro Woche nur noch 33 Stunden, ohne Lohnausgleich - eine Maßnahme des Beschäftigungssicherungstarifvertrags. "Aber zum Glück ist das keine Kurzarbeit", sagt er und erzählt von Gerüchten: Bosch könne nach 18 Monaten Kurzarbeit auch bei besonderem Kündigungsschutz Leute entlassen. Solange also keine Kurzarbeit angemeldet sei, breche die Frist nicht an. Kollegen seien zudem angehalten, Überstunden auf den Arbeitszeitkonten abzubauen. Die drei bis fünf zusätzlichen freien Tage im Monat gäben ihm mehr Zeit für das Computerspiel World of Warcraft, Familie hat er keine.
"Zukunftsängste wegen geringerer Einkommen haben bei Bosch vor allem Familien", sagt der Betriebsrat Udo Lutz. Weniger Arbeit bedeute momentan, dass Sonderschichten und damit Zusatzverdienste zusammengestrichen werden. Früher gingen Arbeiter manchmal mit 3.000 Euro netto nach Hause, viele hätten sich daran gewöhnt. Jetzt gibt es eben den normalen Tariflohn. Lutz spricht von derzeit harten Gesprächen mit der Geschäftsführung, lobt aber eine gute Atmosphäre.
Die ist nicht überall so gut. "Das ist eine massive Einschüchterung", schimpft Thomas Wörner, der Betriebsratsvorsitzende bei Behr. Das Unternehmen mit weltweit 20.000 Beschäftigten liefert Kühltechnik an die Automobilindustrie. "Die Unternehmensleitung setzt die Belegschaft extrem unter Druck", sagt Wörner: 300 Angestellte aus Verwaltung und Entwicklung sollen in Stuttgart entlassen werden, etwa jeder siebte am Standort.
Am Mittwoch lauschten knapp 1.800 Menschen ihrem Chef Markus Flik, als dieser von "sozialer Verantwortung" und "Zusammenstehen in der Krise" sprach. "Ich bin froh, dass keiner applaudiert hat", sagt Wörner bitter. Entsetzen herrsche in der Belegschaft, die erst kurz vor der Betriebsversammlung von der Entlassungsplänen erfuhr. Seit Januar arbeitetet man bei Behr bereits tariflich weniger, das Unternehmen verzichtet auf Kurzarbeit. Wörner fürchtet, dass die Krise nur zum Abbau von Arbeitsplätzen genutzt werden soll.
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