: Hirntod diskutieren -betr.: "Ärzte an den Katzentisch", taz vom 17./18.2.1996
Betr.: „Ärzte an den Katzentisch“, taz v. 17./18.2.
Sehr geehrter Redakteur/ sehr geehrte Redakteurin,
es ist schade, daß Sie die Gelegenheit, auch auf die mit der Transplantationsmedizin verbundenen Befürchtungen einzugehen, nicht wahrgenommen haben.
Es gibt inzwischen viele Stimmen (auch von Medizinern), die auf die Schattenseiten der Organtransplation für die Sterbenden, für die Angehörigen, aber auch für einen bestimmten ethischen Konsens hinweisen.
Die Transplantationsmedizin ist nur möglich in Verbindung mit – der Definition des Todeszeitpunktes „Hirntod“. Es handelt sich hierbei aber nur um eine für die Zwecke der Organtransplantation geschaffene, willkürliche Definition, die das Gehirn als Sitz menschlicher Wesensart überbetont. Niemand weiß mit absoluter Gewißheit, weiche Empfindungen auf subtiler Ebene der Mensch, dem Organe entnommen werden, noch erlebt. Berichte von Pflegepersonal, das bei Transplantationen anwesend war, lassen auf Wahrnehmungen schließen, die nicht einfach mit „Reflexen“ abgetan werden können. Der „Hirntod“ kennzeichnet einen (!) Punkt in dem Sterbe-Prozeß.
Dieser Sterbe-Prozeß wird dem „Spender“ und seinen Angehörigen genommen. Sein Körper wird nicht mehr als integres Ganzes gesehen, sondern seine Organe werden zur Ware. Sein Bettnachbar als möglicher Organempfänger muß sich den Tod des anderen herbeiwünschen. Als Ware bekommen Organe die Eigenschaften, die alle Waren haben: Sie werden gehandelt, zu hohen Preisen ge- und verkauft, gestohlen etc. Die „Hirntod-Definition“ trennt weder zwischen Menschen und Menschen, die noch im Besitz ihrer Hirnfunktionen und damit „Person“ sind. Hier schließt sich der Kreis zur Diskussion um die „Euthanasie“, bei der auch das bewußte Sein zum Kriterium für „Lebensrecht“ von Menschen gemacht wird.
Dies sind einige Punkte, die bei der Diskussion um Organtransplantation mitgedacht werden sollten.
Mit freundlichen Grüßen und der Hoffnung auf einen Bericht, der auch die Kritiker dieser Richtung zu Wort kommen läßt. A. Köhler
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