piwik no script img

Hilde Domin PorträtDie Dichterin und das Gefilme

In ihrem Debüt "Ich will dich - Begegnungen mit Hilde Domin" kommt die Kölner Regisseurin Anna Ditges ganz nah heran an Deutschlands berühmteste Nachkriegsdichterin.

Eine Dame, die wütend werden kann: Hilde Domin in ihrer Küche. Bild: ichwilldich-derfilm.de

Wahrscheinlich kennt jeder dieses Gefühl sehnsuchtsvoller Begeisterung, nachdem man einen bestimmten Song gehört oder ein bestimmtes Buch gelesen hat - und sich plötzlich so im Innersten getroffen fühlt, dass man denjenigen, der den Song oder das Buch verfasst hat, unbedingt kennen lernen möchte. Genau dieses schwärmerische Gefühl einer Seelenverwandtschaft hatte auch die 1978 geborene Dokumentarfilmerin Anna Ditges, nachdem sie durch Zufall auf die Gedichte von Hilde Domin gestoßen war. "Wie kann es sein, dass diese Frau so klar und deutlich formuliert, was mich bewegt?", fragte sich die Absolventin der Kölner Hochschule für Medien, nachdem sie an nur einem Abend den Band "Nur eine Rose als Stütze" durchgelesen hatte.

Eine Frage, die Ditges nun nicht ohne Grund auch gleich zu Anfang ihrem Kinodebüt "Ich will dich - Begegnungen mit Hilde Domin" aus dem Off vorwegschickt. Klingt darin doch schon jene interessante Perspektiv-Verschiebung an, die dieses Dokumentarporträt maßgeblich von anderen Leinwandbiografien unterscheidet, die Künstlerschicksale nur allzu gern zu genialischen Heldenlegenden verklären. In "Ich will dich" ist die Gefahr einer Mythisierung hingegen schon deshalb gering, weil hier von vorneherein nicht die Lebensgeschichte der im Februar 2006 verstorbenen Hilde Domin im Mittelpunkt steht, sondern die Begegnung zweier Frauen, die fast siebzig Jahre Altersunterschied trennte.

Dennoch mochten sich Ditges und die über neunzigjährige Dichterin Domin auf Anhieb. Auf den ersten Besuch der Filmhochschülerin im Winter 2004 folgten schnell weitere Besuche. Schon bald fuhr Ditges zwei Jahre lang regelmäßig von Köln nach Heidelberg, um gleich ganze Wochenenden mit Deutschlands berühmtester Nachkriegsdichterin zu verbringen. Hier unterhielt sich die junge Regisseurin mit Domin dann nicht nur über ihre literarische Ausnahmekarriere, die für die einst vor den Nazis nach Santo Domingo geflohene Jüdin spät, mit fast fünfzig Jahren, begann. Ditges ließ auch - erst zaghaft, dann immer selbstverständlicher - bei allen gemeinsamen Gängen und Gesprächen ihre Kamera mitlaufen.

Ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Denn die Heidelberger Dichterin, der nicht umsonst der Ruf einer medienscheuen Diva vorauseilte, war zunächst nicht begeistert davon, gefilmt zu werden. "Am Anfang war es schwer", erinnert sich Ditges, "weil Hilde Domin oft wütend wurde und gesagt hat, dass ich die Kamera ausmachen soll. Das habe ich erst auch immer ganz schnell getan. Bis mir klar wurde, dass dieses Dagegenhalten Teil ihres Charakters war - und ich das unbedingt mit einbeziehen musste."

Tatsächlich gehört es zur großen Stärke von "Ich will dich", dass Ditges darin den Mut aufgebracht hat, sowohl ihre Streite mit Domin als auch ihre teilweise ungestüm-laienhaften Fragen im Film zu belassen. Denn dadurch macht sie nicht nur dessen Produktionsverhältnisse selbst zum Thema, sondern durchbricht auch wohltuend die genretypische Illusion einer unbeteiligten, quasi-objektiven Beobachterhaltung. Da die Regisseurin außerdem ganz alleine und ohne großen technischen Aufwand gedreht hat (Ditges hat sowohl auf einen Kameramann als auch auf zusätzliche Lichtquellen verzichtet), könnte man "Ich will dich" als ein Unplugged-Porträt Domins beschreiben, das formal eine gewisse Nähe zum Cinema vérité der 60er-Jahre aufweist.

Doch der Gestus ist bei Ditges sehr viel unbedarfter, unideologischer und angenehm absichtslos. Aus 130 Stunden Material hat sich ihr erster Kinofilm erst allmählich "herausgeschält", gibt die Debütantin freimütig zu. Und dem Ergebnis merkt man als Zuschauer nun an, wie viel Spaß Ditges daran hatte, sich auch selbst überraschen zu lassen. Mal drückt sie einem fremden Passanten im Film kurzerhand ihre Kamera in die Hand. Mal zieht sie ihr eigenes Projekt selbst in Zweifel, nachdem sich Domin einmal mehr über "dieses dauernde Gefilmtwerden" beschwert hat. "Warum möchtest du dann, dass ich diesen Film über dich mache?", gibt Ditges schlagfertig zurück. In einer anderen Szene fragt sie die verwitwete Dichterin auf den Kopf zu, ob deren schon 1988 verstorbener Mann Erwin Walter Palm denn eigentlich "ein guter Liebhaber" war. Domin schaut erstaunt auf, mit einem Blick, der zwischen Belustigtsein und Verärgerung schwankt. "Ich hatte keinen anderen, ich kanns nicht beurteilen!", antwortet sie schließlich. "Er war der einzige Mann, den du je gekannt hast?", hakt Ditges nach. "Ja!"

"Ich will dich - Begegnungen mit Hilde Domin", Porträtfilm, Deutschland 2007, 95 Min.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!