HERBST II : Laub, glitschig
Ich sag’s mal so: Es gibt die bekannten Jahreszeiten. Und dann gibt es diese Unter-Jahreszeiten, die nicht im Kalender stehen. Aber die, wenigstens von mir im Augenblick – wo ich mich nach dem überraschenden Sturz vom Fahrrad kurz vor meiner Haustür auf dem Trottoir wiederfinde –, als Ausnahmezustand empfunden werden.
Also gut, es ist Herbst, und dann liegen da halt glitschige Blätter auf dem Boden. Aber im normalen Herbst rutsche ich auf denen nicht so gnadenlos aus. Heute Nacht aber – oh Mann, es ist wirklich fünf Uhr morgens – schon. Obwohl ich den Heimweg bis hierhin ganz gut hinbekommen habe. Und dabei sogar noch „The Fairest of the Seasons“ von Nico vor mich hin summen konnte.
Ist ein tolles Stück. Hat mein Hirn noch hingekriegt, auch wenn ich in den Stunden, seit die Sonne untergegangen ist (was in diese Jahreszeit früh geschieht), alles getan habe, um ihm zu bedeuten, dass es heute Abend nicht mehr benötigt wird. Und nun rappel ich mich mühselig vom Gehsteig auf. Die Unter-Jahreszeit, in der mir so etwas passiert, nenne ich jetzt mal Herbst II. Sie beginnt mit den Herbst-Schulferien. Dann steigen Mütter und Väter mit Kindern am Hauptbahnhof in ICEs zu den Großeltern oder zu alten Freunden. Die in Berlin verweilenden Elternteile bleiben zurück, vertiefen sich in Lieder wie „Fairest of the Seasons“, wenn sie nicht Schlimmeres tun. Und wenn sie es ganz toll treiben, finden sie sich irgendwann in unwürdiger Lage auf dem Bürgersteig wieder, so wie ich jetzt gerade.
Dann entscheiden sie, dass sie morgen einen tüchtigen Auflauf mit Salat für die Angehörigen machen, wenn diese am Hauptbahnhof aus den ICEs entsteigen. Und dass der Herbst II für sie doch nicht die schönste Jahreszeit ist, von der Nico einst sang. Auch wenn sie sich das ursprünglich vielleicht mal so gedacht hatten. TILMAN BAUMGÄRTEL