HANDGREIFLICHE NACHBARN : Nacht und Nebel
Dass man in Deutschland kein Geld für neue Straßen brauche, weil es schon genug gebe, behauptet mancher Ökologe gern. Er war noch nie bei mir am Stadtrand, wo sich die unbefestigten Wege der Siedlung je nach Wetterlage in eine Staub- oder Schlammpiste verwandeln. Nach und nach wird nun Abhilfe geschaffen. Aber das kostet: Nur 10 Prozent der Straßenbaukosten zahlt die Kommune; den Rest müssen die Anwohner blechen. Je nach nach Gartengröße kommen zwischen 5.000 und 10.000 Euro zusammen.
Derzeit wird in einer Parallelstraße gebaut, und an einem nebligen Herbstabend nähere ich mich nach einem Spaziergang dem Baustellenlagerplatz querfeldein vom Wald her. Plötzlich huschen zwei Gestalten, ein Mann und eine Frau um die 50, ins Dunkle, mehrere mit Pflastersteinen gefüllte Tragetaschen zurücklassend. „Ah, da braucht noch jemand Steine“, rufe ich.
Mein kriminalistischer Eifer erwacht, weit kann man die Klamotten ja nicht schleppen. In der Nähe, schon in der Siedlung, steht nur ein Auto. Vorsorglich merke ich mir die Nummer und warte im Schatten eines Baums. Nach einer Viertelstunde kommen die beiden Gestalten aus einer anderen Richtung die Straße entlang und verschwinden in dem Garten neben dem Auto. „Wir mussten abhauen und einen Umweg laufen“, sagt der Dieb zu einem Wartenden.
Wenig später kommen die drei aus dem Garten. Die beiden Steinepacker stehen Schmiere an der Straße, während der Dritte das Auto zum Steinhaufen fährt und die Taschen einlädt. Kurz darauf rast er davon.
Was nun? Nichts tun oder anzeigen oder zur Rede stellen? Ich bitte einen Nachbarn um Rat: „So was macht man nicht“, sagt er. „Außerdem muss die Firma die Steine nachkaufen, dann wird der Bau für alle teurer.“ Ich beschließe, erst einmal eine Nacht drüber zu schlafen. Im Fernsehen läuft Fußball. RICHARD ROTHER