HAMBURGER SZENE : Schuldebatte von gestern
Während die Primarschulgegner im Novemberregen Unterschriften sammelten, lud die Fraktion der Linken zur szenischen Lesung in den Kaisersaal des Rathauses. Thema: „90 Jahre Einheitsschule in Hamburg“. So hieß die Grundschule, die Hamburg 1919 als erstes Land einführte. Bis dahin gab es Vorschulen für die Gymnasien, die Schulgeld kosteten.
Abgeordnete von Linken und SPD spielten die Debatte von damals nach, die erstaunliche Parallelen zu heute aufweist. Einen starken Auftritt hatte Mathias Petersen (SPD) als Konservativer. Armen Kindern fehle es an „geistiger Beweglichkeit“, was Folge fehlender „Gespräche mit den Eltern oder häuslicher Lektüre“ sei. Weil die niederen Stände Platt sprächen, könnten sie das Schuldeutsch nicht verstehen.
Doch 1919, nach der Novemberrevolution, ging es nicht um das „ob“, sondern um das „wie“ der Einheitsschule – allerdings nur bis Klasse vier. Die SPD forderte eine längere Einheitsschule, wollte sich aber „zunächst mit vier Jahren begnügen“. Lachen im Saal. Noch 90 Jahre später nennt die SPD-Spitze die Schule für alle nur „Fernziel“.
Nach der Lesung bei Suppe und Bier waren die Primarschulgegner Thema: Schafften sie die Hürde zum Volksentscheid, werde man wieder auf die Straße gehen. KAIJA KUTTER