HAMBURGER SZENE VON ROGER REPPLINGER : Küssen vorm Friseur
Küssen sich zwei. Ich seh’s durch die Scheibe vom Mar y Sol über den Rand meines Galão-Glases weg. Sie stehen vor einem Motorroller.
Er hat die Augen auf beim Küssen. Sie steht mit dem Rücken zu mir, Richtung einer Filiale der Friseurkette „Unisex“, hat aber die Augen nicht auf. Ich muss es nicht sehen, ich weiß es. Er guckt rüber. Er ist nicht bei der Sache. Es passiert ja, dass du einer Frau nachguckst, und dann merkst du, es guckt ihr noch jemand nach, und dann guckst du, wer es ist, und dann ist es ein Mann, der gerade eine Frau küsst.
Man kann nun den Stab brechen über dem Mann, der guckt, statt nur zu küssen, und über der Frau, weil es ihr nicht gelingt, den Mann so zu küssen, dass ihm die Spucke wegbleibt. Aber vielleicht ist es ja was Ernstes. Möglicherweise Anthropologie. Der Mann hat nur zwei Dinge im Sinn: Beute, auch Frau, und Schutz vor dem Feind: Bär, Wolf, andere Neandertaler. Deshalb: Augen auf!
Kommt vor, dass die Frau, wenn sie merkt: Er guckt beim Küssen, was sie nur merkt, wenn sie selbst guckt, was sie nur tut, wenn sie merkt, dass was nicht stimmt, ihm die Hand über die Augen legt. Die Frau vorm Mar y Sol merkt auch was und macht was anderes. Sie küsst ihn richtig, schon sind die Augen zu. Komisch, dass alle, die aus dem „Unisex“ kommen, Strähnchen haben.