HAMBURGER SZENE VON ANDREA SCHARPEN : Verdammte Vorurteile
Hätte ich meinen Schlüssel nicht verschludert, säße ich bestimmt nicht hier, im Café Votra auf der Veddel. Jetzt aber muss ich auf Ersatz warten und habe keine große Wahl.
An der Einrichtung liegt meine Abneigung gegen die Gaststätte nahe der S-Bahn-Haltestelle nicht. Die Wände sind hellbeige gestrichen, der Holztresen wirkt gemütlich. Dahinter steht eine große, silberne Espressomaschine. Ein Kellner im karierten Hemd zapft unablässig neue Tassen für seine Gäste. An der Wand neben dem Eingang hängt ein großer Bildschirm. Der HSV kämpft gerade ums Überleben. Der Kommentator spricht Albanisch.
Nein, an der Gaststätte liegt es nicht, dass ich mich unwohl fühle, sondern an den Gästen. Das Café ist gut besucht – aber ausschließlich von Männern. Das ist jeden Tag so. Genau wie in den anderen Lokalen auf der Elbinsel. Junge Typen in Sportklamotten sitzen neben älteren Herren in Jeans und Hemd, sie geben einander die Hand. Man kennt sich.
Schon oft bin ich daran vorbeigegangen. Habe die Männer verurteilt, daran gedacht, dass ihre Frauen irgendwo hinter den Backsteinmauern auf der Veddel sitzen, für die Familie kochen und die Kinder bespaßen, während sie hier gemütlich eine Zigarette nach der anderen qualmen und ein Käffchen trinken. Oder ob das doch ein schwuler Laden ist? So ganz ohne Frauen?
Im Cafè Votra jedenfalls macht den ganzen Abend über keiner einen dummen Spruch, nur ein paar verstohlene Blicke gehen in meine Richtung. Die Verlängerung beginnt, der HSV schießt das entscheidende 2:1. Die Cafébesucher jubeln, doch angestoßen wird nicht. Kein einziges Bier geht über den Tresen. „Hamburg zweite Liga? Niemals!“ ruft ein Mann mit verkehrt herum aufgesetztem Käppi. Er ist gerade beim Freudentaumel ausgerutscht und hat sich auf den Boden gelegt. Macht nichts, alle lachen. Die Stimmung ist gut. Die Männer drücken dem HSV die Daumen.
Mir reicht der Kellner in der Zwischenzeit meine Fanta – im Sektglas. Richtig nett. Da fasse ich mir ein Herz und frage ihn, warum außer mir keine einzige Frau im Laden ist. Er lächelt traurig. „Nur die Männer sind hier, zum Arbeiten“, sagt er. „Die Frauen sind in Mazedonien oder anderswo.“ Da tut es mir plötzlich leid. Zum Teufel mit meinen Vorurteilen.