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Archiv-Artikel

HAMBURG: DIE ERBEN DES SKANDALS GEBEN SICH POLITIKFÄHIG Aus Schill wird kein Haider

Die Geschwindigkeit, mit der sich die Abgeordneten der Hamburger Schill-Partei von ihrem Gründer und Idol abgewandt haben, ist atemberaubend. Ronald Schill spielt in den Zukunftsplanungen der Partei keine Rolle mehr, auch sein ihm verbliebener Job als Landesvorsitzender wird zur Disposition gestellt. Der Mann, der die Partei verkörpert hat, steht fast ganz allein da. Den Medien und dem eigenen Ego zuliebe wird er den Part des Ungebändigten auch als einfacher Abgeordneter geben. Doch irgendwann werden selbst die Journalisten den Spaß daran verlieren.

Schill wird also kein zweiter Jörg Haider, kein zweiter Helmut Kohl werden, die nach ihrem Abschied von der Macht die Fäden in der Hand hielten, emsig dabei, die Strippen zu ziehen. Diese Rolle hätte Schill zweifellos gern gehabt, aber seine Abgeordneten werden dabei nicht mitspielen. Sie waren immer ganz anders als ihr Chef. Dessen lockeres Leben, die Politik als große Party, das sprunghafte Bohemiengehabe war seinen Epigonen immer fremd, ob sie nun Nockemann, Mettbach oder Frühauf heißen. Die Führungsgarde der Partei besteht aus kreuzbraven Bürgern, die zwar gern im Rampenlicht stehen, denen die große Bühne aber immer etwas unheimlich war.

Schill war der Spieler, der mit Amt und Macht jonglierte und seinen Spaß daran hatte, die Öffentlichkeit zu brüskieren, Regeln zu verletzen. Seine Mitstreiter sind letztlich artige Kommunalpolitiker, die Akten lesen und sich in Ausschüssen den Hintern platt sitzen – so wie Politiker möglicherweise auch sein sollten. Sie haben Schill gebraucht, um in seinem Windschatten an die Macht zu segeln. Sie benötigten seine Strahlkraft, um den Sprung aus der Anonymität in die Medien und dann ins Parlament zu schaffen. Jetzt sitzen sie da, wo sie hinwollten, und Schill hat mit seinen Ausfällen, seiner Unberechenbarkeit, seinen Schnellschüssen beim Regierungsalltag nur noch gestört.

Schills Parteifreunde hätten sich so schnell nicht getraut, ihr Denkmal selbst vom Thron zu stoßen. Auch wenn sie sich innerlich längst abgenabelt hatten, offiziell hielten sie ihm in den vergangenen Monaten noch die Treue. Der Bürgermeister hat ihnen jetzt die unangenehme Aufgabe abgenommen, den Chef auch offiziell abzuservieren. Die klammheimliche Erleichterung unter den Schillianern ist groß. Jetzt kann so Politik gemacht werden, wie sie es sich vorstellen. Der ehemalige Popstar der Partei wird mit dem Titel des Ehrenvorsitzenden abgespeist, der niemandem wehtut. Man kann das als reinen Machterhalt verurteilen. Oder man nennt es Politikfähigkeit. PETER AHRENS