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taz FUTURZWEI

Grundausbildung für Gen Z „Jesus Fucking Christ!“

Soll Deutschland die Wehrpflicht wieder einführen? Unsere Autorin hört sich zu dieser Frage in der Gen Z um und ist überrascht von den Reaktionen.

Grundausbildung oder Zivi – die Debatte ist wieder da Foto: Foto: Frank May/dpa

taz FUTURZWEI | Es ist der 24. Februar 2022. Russland hat über Nacht die Ukraine angegriffen, und daraufhin hatte ich das Bedürfnis gehabt, meinen Vater anzurufen. Ich erwische ihn zwischen Arbeit, Abendbrot und Tagesschau. Schließlich hatte er lange „gedient“, wie man sagte, war später auch Reservist – was ich immer befremdlich fand, aber dafür kennt er sich doch sicher mit Krieg und sowas aus.

„Sofort die Wehrpflicht wieder einführen, sage ich da!“, dröhnte es mir aus dem Telefon entgegen.

Dabei hatte ich gehofft, dass er einfach ein paar beruhigende Worte sagen würde. So was in die Richtung: Wir brauchen uns zumindest um uns erst mal keine Sorgen machen, Deutschland ist ja in der Nato, wir werden schon nicht so schnell angegriffen.

Kolumne STIMME MEINER GENERATION

Ruth Fuentes und Aron Boks schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.

Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Aber gleich Wehrpflicht? Pflicht!?

„Und zwar für alle!“, sagt er dann auch noch. Eigentlich brüllt er fast schon: „Wenn sie die jetzt nicht sofort wieder einführen, sind wir aufgeschmissen. Wir sind gar nicht verteidigungsfähig! Deine Generation, die hat ja nicht mal gelernt, richtig zu ... marschieren.“ Außerdem dauere es seine Zeit, bis man die Armee wieder funktionstüchtig gemacht habe.

Wenigstens verpflichtend was Soziales

Ich höre seinem Gerede gar nicht mehr richtig zu. Das ist doch bellizistisch! Aber was hatte ich eigentlich erwartet von einem Typen, der zu Kalter-Krieg-Zeiten beim Bund war?

„Und wer nicht will, der soll wenigstens verpflichtend was Soziales machen. Man kann ruhig mal der Gesellschaft etwas zurückgeben!“, sagt er dann noch. Und ich weiß, dass das von seiner Seite aus als Kompromiss gemeint ist, weil er „diese nichtsnutzigen Zivis“ eigentlich nie sonderlich mochte.

Das letzte Mal, dass die Wehrpflicht im meinem Leben eine Rolle gespielt hatte, war 2007. Damals, als wir alle fürchteten, dass die Jungs von Tokio Hotel eingezogen werden könnten. Zwei Jahre später durfte endlich jeder für sich entscheiden, ob, wie und wann er oder sie sich zivilgesellschaftlich engagiert.

Ist doch auch gut so, denke ich, oder?

Die Vorstellung, dass der Staat uns zu irgendwelchen zivilen oder militärischen Aufgaben verpflichtet, kommt mir auf den ersten Blick genauso absurd vor, wie die Entscheidung dieser wenigen Weirdos, die sich freiwillig melden, um sich herumkommandieren zu lassen und Krieg zu spielen, obwohl es doch gar keinen mehr gibt. Und ein freiwilliges soziales Jahr, das kann doch jeder machen, der Bock hat, oder?

Pistorius' Plan

Einer dieser Weirdos ist tatsächlich ein guter Freund von mir: Leo. Er hat nach seinem Abi gedient, arbeitet nun sogar für die Bundeswehr, und wir verstehen uns trotzdem. Etwas mehr als zwei Jahre sind mittlerweile vergangen, seitdem mein Vater meinte, dass wir ja alle nicht mal richtig marschieren könnten.

Ich sitze mit Leo beim Mittagessen und Verteidigungsminister Pistorius hat gerade sein neues Projekt vorgestellt – ein „Auswahlwehrdienst“. Alle Männer, die 18 Jahre alt werden, sollen einen verpflichtenden Fragebogen ausfüllen, in dem sie erklären, ob sie bereit wären, Wehrdienst zu leisten. Frauen können ihn auch ausfüllen, wenn sie möchten.

Und da ist sie wieder die Debatte: Sollte die ausgesetzte Wehrpflicht nicht einfach direkt wieder eingesetzt werden? Aber dann für alle. Soll die Gen Z doch auch mal der Gesellschaft „was zurückgeben“! Kann ja nicht schaden. Wäre das nicht auch voll die gute Lösung, um die Lücken in den sozialen Berufen zu schließen? Und was spricht eigentlich in Zeiten der Zeitenwende überhaupt dagegen?

„Natürlich müsste es für Frauen und Männer gleichermaßen gelten, aber so eine Grundgesetzänderung kriegen sie in einem Jahr nicht mehr durch“, sagt Leo und spießt die Nudeln mit der Gabel auf, während er wie immer etwas zu gerade am Tisch sitzt. „Außerdem geht es erstmal darum, zu schauen, wer überhaupt infrage kommt für einen Wehrdienst …“.

Und dann sagt er noch: „Und ein obligatorisches ziviles Dienstjahr, das braucht's sowieso.“

Was halten eigentlich die jungen Menschen davon?

16 Jahrgänge hatten bislang wirklich nichts mehr mit verpflichtenden Musterungen, Zivildiensten oder Verweigerungen zu tun gehabt. Sie haben alle gelernt, dass das richtig so ist. Und jetzt plötzlich ...

Leo ist der erste aus meiner Generation, mit dem ich über das Thema rede, fällt mir auf. Sonst höre ich die Politiker immer nur über uns „Junge“ sprechen.

Ich beschließe eine kleine Insta-Umfrage zu starten: An alle Gen Z'ler, schreibe ich, ich brauche eure Meinung: Verpflichtendes ziviles Jahr und/oder Wehrpflicht?

Die Antworten fliegen nur so rein:

Daumen runter.

„Auf keinen Fall!“

„Ich werde definitiv nicht gratis für Deutschland arbeiten, die sollen lieber die Löhne anheben, dann haben sie auch genug Leute, die Pflegeberufe eingehen. Aber keine Zwangsarbeit und Wehrpflicht sowieso nicht!“

„Ich habe vermutlich einfach ein Problem mit diesem ,verpflichtend’. Man könnte ja auch Anreize schaffen für ein freiwilliges soziales Jahr (klingt jetzt vllt. doch etwas nach FDP).“

„Jesus fucking Christ. Wenn das kommt, gehe ich Steine schmeißen.“

Nicht alle klingen verweigernd

Und dann das:

„Niemals wieder Wehrpflicht! Soziales Jahr evtl., aber nur bei anständiger Bezahlung, also mehr als die 300 Euro, die man beim FSJ bekommt.“

„Verpflichtendes ziviles Jahr finde ich super!“

„Bin ich Gen Z haha? Grundsätzlich ja, würde auch zum Bund gehen.“

„JA!!!“

„Ein ziviles Jahr ist auf jeden Fall für die persönliche Entwicklung super.“

Die aktuelle taz FUTURZWEI

taz FUTURZWEI N°29: Kann der Westen weg?

Europa und Nordamerika haben viel vorangebracht und einiges verbockt. Nun geht es so nicht mehr weiter. Aber wie dann? Es kann schon morgen oder übermorgen vorbei sein mit dem Westen.

Über den Zerfall einer Weltordnung

U. a. mit Joschka Fischer, Dana Giesecke, Maja Göpel, Jürgen Habermas, Wolf Lotter, Jörg Metelmann, Marcus Mittermeier, Ella Müller, Luisa Neubauer und Harald Welzer. Ab 11. Juni am Kiosk

Zur neuen Ausgabe

Klingt irgendwie nicht so verweigernd, wie gedacht, denke ich. Ein verpflichtendes ziviles Jahr, das scheint auch die vermeintlich so faule Gen Z nicht falsch zu finden.

Ich kriege fast Lust, die guten Argumente zu verteidigen. Solidarität in der Gesellschaft. Möglichkeit zur Mitgestaltung. Wertschätzung und Unterstützung sozialer Berufe. Auch, weil man nach der Schule dort vieles dazulernen kann, was man sonst vielleicht je nach Elternhaus nicht tun würde. So was klingt doch gut, schreibe ich deswegen der potenziellen Steineschmeißerin zurück. Ob das denn nicht die Idee von Gesellschaft sei: geben und nehmen?

Bedingung: Zukunftsperspektiven

„Einige Gen Z'ler*innen sind bereit im Angesicht einer trotteligen Politik die ausführenden Politiker*innen mit ihren Antidepressiva zu bewerfen“, antwortet sie (wörtlich). „Sie würden gerne mit ihrer Zukunft werfen, aber welche Zukunft, ne?“

Ein anderer antwortet mir etwas neutraler. Schreibt mir von geschlossenen Schulen zur Corona-Zeit, Kinderarmut und schlechten Zukunftsperspektiven und, dass er ein verpflichtendes soziales Jahr in dieser Situation nicht sehe. Junge Leute sollen als schlecht bezahlte Arbeitskräfte unterbesetzte Stellen im Sozialsystem auffüllen, ohne dass sie von den Institutionen profitiert hätten.

Am liebsten würde ich Pistorius anrufen, um ihn von meinen neuen Erkenntnissen zu erzählen. Stattdessen rufe ich Leo an.

„Ich glaube, dass die meisten schon bereit wären für so ein soziales Pflichtjahr“, sage ich. Und füge hinzu: „Sogar in meiner linken Bubble.“ Es ist das fehlende Vertrauen, in den Staat und in ihre Zukunft, das sie oft zurückschrecken lässt.

Beim Auflegen kommt mir eine Idee. Vielleicht wäre es Zeit für eine neue Art von Gesellschaftsvertrag: Die Politik verpflichtet sich gegenüber den jüngeren Generationen, dass sie sofort richtige Maßnahmen ergreift, um das Leben und die Freiheit weiterhin zu gewährleisten, setzt sofort ein Tempolimit, Inlandsflug- und SUV-Verbote sowie kostenlosen ÖPNV durch. Und wir, wir lösen unseren Dienst ein.

Aber irgendwas sagt mir, dass es noch sehr lange brauchen wird, bis es soweit kommt.

„Stimme meiner Generation“ – die Gen-Z-Kolumne des Magazins taz FUTURZWEI, geschrieben von Ruth Lang Fuentes und Aron Boks, erscheint in loser Folge auf tazfuturzwei.de.