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Grenzgänger einer städtischen Wohnkultur

■ Die Ausstellung Möbel der Armut vermittelt zwischen Design und Abfall

Schloßartig erhebt sich das Museum für Kunst und Gewerbe über seine Umgebung, nur wenige Meter weiter treffen sich Junkies und übernachten Obdachlose. Erstmals nähert sich hier jetzt eine Ausstellung der städtischen Armut und tastet sich mit den Mitteln des Designs an das Problemfeld heran. Zwölf skurrile Möbelobjekte aus Mülltonnen, Einkaufswagen, Plastiktüten und anderen mehr oder weniger leicht zu ergatternden Alltäglichkeiten provozieren den guten Geschmack.

Die Ausstellung Möbel der Armut – Grenzgänger der Wohnkultur gibt keine gestalterischen Antworten. Vielmehr kommt es den „Young Constructives Facing Midlife Crisis“ darauf an, Fragen zu stellen und die Grenzen des konventionellen Designs zu prüfen. Der Gruppenname steht für die beiden gelernten Tischler Maximilian Steinberger und Markus Keuler alias Max E. Million und Zauberlehrling. Schon aus diesem Namensspiel ist klar, daß eine Fixierung auf festumrissene Tätigkeitsfelder ihre Sache nicht ist. Als Kunsthandwerker und Objekteinrichter lieben sie das interdisziplinäre Experiment.

Dabei sind sie keineswegs auf Abfallmaterial fixiert. Elegant, schön, sauteuer und nahezu vollkommen nutzlos ist der „spanische Altar“: ein spinnenbeiniges, kerzenbestücktes Kommodentischchen aus edlen Hölzern. Er wird als Kontrastprogramm auf einem Müllhaufen präsentiert, während die übrigen Objekte aus minderem Material auf musealen weißen Sockeln stehen.

Aber den beiden geht es nicht nur um Witz und Provokation. Wäre ihre Arbeit nur zynisch, hätten sich kaum Kultur- und Sozialsenatorin bereitgefunden, gemeinsam die Ausstellung zu eröffnen. Diese Möbel sind weder Prototypen noch Partygags, sondern Diskus-sionsobjekte für weitere Entwicklungen. Die Gestalter haben sich mit Obdachlosen auseinandergesetzt und erkundeten beispielsweise den Bedarf nach einer Möglichkeit beweglicher, abschließbarer, anschließbarer, unauffälliger Behältnisse für das Gepäck der Berber, für diejenigen, die ausdrücklich auf der Straße leben wollen. „Design kann auch andere Dinge als den hundertsten Rasierer entwerfen“, sagt Markus Keuler. Er verweist auf die Niederlande, wo sich Design beispielsweise auch mit einem Masturbationsapparat für Behinderte befaßt. Auch habe dort ein Designer im Auftrag der Heilsarmee ganz unironisch einen Schlafkarton für Obdachlose entworfen.

Unter solchem Blickwinkel verändern das „Plasiktütentragegestell“ und das „Schlafwagenzelt“ aus Brett, Plane und zwei Einkaufswagen dann schon ihre Wirkung. Oder mit einem Satz der beiden kreativen Handwerker aus der „Werkstatt für Sinn- und Sachlichkeit“: „Durch häufiges Wechseln von Perspektiven und Betrachtungsweisen schaffen wir uns einen umfassenderen Zugang zum Wesentlichen.“ – Ironie oder Hoffnung?

Hajo Schiff

3. August bis 17. September, Museum für Kunst und Gewerbe

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