Gottschalk sagt : Bedarfsmusik für Alte in wilder Ehe
CHRISTIAN GOTTSCHALK: Die Kolumne am Donnerstag
Da wir uns ja gerade im Sommerloch befinden, erlaube ich mir nochmal ein bisschen von zu Hause zu erzählen. Seit neuestem lebe ich ja nun in einer Bedarfsgemeinschaft, die von den Behörden als „eheähnliche Gemeinschaft“ betrachtet wird. Ein ganz normaler Vorgang heutzutage. Früher aber, als Udo Jürgens noch jung war, nannte man so etwas eine „Wilde Ehe“. Während „eheähnliche Gemeinschaft“ nach „guck mal Schatz, bei Lidl gibt es Fleischwurst im Angebot“ anhört, klingt „Wilde Ehe“ nach Sektfrühstück im Bett, nach „unsere Liebe braucht keinen Trauschein!!“, nach in-Zeitlupe-im-Park-aufeinander-zulaufen und nach mehrmals am Tag Geschlechtsverkehr. Aber die „Wilde Ehe“ ist ja ein Begriff aus den wilden Siebzigern, als wir unsere wilden Mähnen zu wilden Gitarrensoli schüttelten. Die wir auf Federballschlägern spielten, damals mit elf. Der Begriff „Wilde Ehe“ gefiel mir schon als Kind.
Meine ehefrauähnliche Bedarfspartnerin und ich jedenfalls sind gerade wild am Renovieren, wobei man gerne Radio hört. Verrückt wie wir nun mal sind, hörten wir zunächst „Campus“, obwohl es eigentlich für Studenten ist. Als es uns zu bunt wurde, stiegen wir auf „einslive“ um, aber Chartsmusik zerrt irgendwann gewaltig an den Nerven. An einem Nachmittag entdeckte ich dann meinen neuen Lieblings-Renoviersender: WDR 4. Bislang hatte ich gedacht, auf WDR 4 liefen 24 Stunden am Tag Glückwunschsendungen für Hundertjährige, die nur die Flippers oder Brunner und Brunner hören. Stimmt nicht. Zwischen den Glückwunschsendungen präsentieren Moderatoren, die einen nicht anbrüllen, ja nicht mal wirklich fröhlich sind, einen bunten Strauß beliebter Melodien: Swing, Schlager, Tanzmusik, Reinhard Mey, Truck Stop, Götz Alsmann. Außerordentlich angenehm und gut für den Kreislauf.
Wie aber werden sich die Sendungen auf WDR 4 in 40 Jahren anhören? Es werden veraltete Tonträger in veraltetem Tonfall abgefeiert werden: „Aus dem CD-Regal – Songs die echt rocken!“ („Cds hatten immerhin noch Covers“, werden wir faseln, „die waren irgendwie sinnlich!“). Am Sonntag Nachmittag dann „grüßt Atze aus dem Aldi-Seniorenheim in Porz die Jungs und Mädels aus dem ‚Connection‘ mit ‚Smells like teen spirit‘“. Und ich höre auf WDR 12 das „Ehrenwerte Haus“ von Udo Jürgens.