GESUNDHEITSREFORM: GLÜCKLICHE FUNKTIONÄRE, ARME PATIENTEN : Was sich die Gesellschaft leistet
Natürlich können es sich die meisten Leute leisten, pro Quartal 10 Euro beim Arzt zu bezahlen. Für den Friseur geben sie mehr aus. Von den 600 Millionen Arztkontakten im Jahr ist außerdem sicherlich der eine oder andere entbehrlich.
Doch es ist auch nicht die Belastung durch 10 Euro Arztgebühr hier oder 10 Euro Krückenzulage dort, woran sich die Empörung über die geplante Gesundheitsreform entzündet. Es ist der Widerspruch zwischen Ankündigung und Ergebnis, der so enttäuscht. Dass es Einschnitte geben würde, war sonnenklar. Doch Einschnitte zu Lasten der Patienten und Versicherten sind nur zu rechtfertigen, wenn gleichzeitig Verschwendung abgebaut wird. Damit hat auch die Regierungskoalition geworben: Wir erschließen „Effizienzreserven“, wenn ihr hinnehmt, dass Sterbegeld und Kassenbrillen gestrichen werden. Und dieses Versprechen wird vom Eckpunkte-Kompromiss gebrochen. Die Gesundheitskoalition hat alle Maßnahmen addiert, durch die Versicherte belastet werden, um auf den Sparbetrag von 20 Milliarden Euro zu kommen.
Niemand hat verlangt, dass die Pharmaindustrie die 20 Milliarden an die Krankenkassen überweist. Niemand hat verlangt, dass Ärzte umsonst behandeln. Doch wenn jetzt die Verbraucher 18 Milliarden, Industrie, Ärzte und Apotheker dagegen nur den Rest zahlen, dann wird deutlich, worauf verzichtet wurde und welche Folgen dafür in Kauf genommen wurden. Die Positivliste für Arzneimittel etwa oder die Kosten-Nutzen-Berechnung für neue Pillen haben die Gesundheitsreformer begraben – es gebe nun ja andere Maßnahmen zur Pillenpreissenkung. So? Was sprach denn dagegen, sinnvolle Maßnahmen zu addieren? Die Kassenärztlichen Vereinigungen behalten ihre Verhandlungsmacht, die Ärzte bekommen ein besseres Vergütungssystem – kein Wunder, dass ihre Funktionäre glücklich sind.
Die Reform, die nun auf dem Tisch liegt, können sich viele leisten – aber nicht alle. Wenigverdiener knapp über dem Sozialhilfesatz sind es, die den Zuschuss zur Brille gebrauchen konnten. Fußlahme Rentner müssen nun das Taxi zum Arzt bezahlen. Und das, meint die Gesundheitskoalition, kann sich diese Gesellschaft leisten. ULRIKE WINKELMANN